Montag, März 25, 2024

Der Trip

Über meine Erlebnisse rund um die Corona-Jahre habe ich zuletzt bereits einen ausführlichen Bericht geliefert. Ausgespart habe ich dabei eine Geschichte, die sich im Mai 2020 zugetragen hat, also in der Zeit der ersten Lockerungen. Bevor ich allerdings zu den eigentlichen Vorkommnissen an diesem Samstagabend komme, ist es nötig, einen kleinen Abschnitt einzuschieben.

Marihuana, Weed, Joint, einen Durchziehen. Das sind, unter vielen Anderen, Begriffe aus einem Bereich, der im Leben nicht weniger Menschen eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Ich habe im Laufe meines Lebens gelegentlich Kontakte mit Leuten gehabt, die dieser Droge, deren Beschaffung sich noch immer leicht außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegt, zugetan waren und sind. Und dabei kam es auch gelegentlich, allerdings wirklich ausgesprochen selten, vor, dass ich mich an vereinzelten Abenden inmitten solcher "Kiffer-Runden" befand und daran teilnahm. Die Anzahl solcherlei Erfahrungen kann ich aber eher an drei Fingern, als an einer Hand abzählen. Trotzdem kam ich dort zu einer Erkenntnis, die mich sprichwörtlich ernüchtert zurückließ. Während um mich herum der zu erwartende Effekt nicht zu übersehen war, konnte ich an mir keinerlei Wirkung erkennen. Selbst der zeitgleich konsumierte Alkohol in, wenn nicht rauen, zumindest beachtlichen, Mengen konnte mich nicht in einen Zustand wohliger Chillness, oder was auch immer man sich vom Kiffen versprach, versetzen. Meine abendlichen Kollegen verspotteten mich in einer Mischung aus Ungläubigkeit, Verwunderung und Neid schon, dass ich wohl immun sei. Gut für mich. Egal? Egal! Ich hielt es fortan, wie schon zuvor, mit dem Alkohol.

Machen wir nun den Sprung in den Mai 2020. Corona war bereits etliche Wochen in aller Munde. Und doch wurde erstmalig gelockert, auf jeden Fall insofern, dass private Zusammenkünfte keine Ordnungswidrigkeit mehr darstellten. Was lag da näher, als dies auszunutzen? Werners damalige noch nicht Frau sondern Freundin war an diesem Samstag ausgeflogen, also lud Werner Benno, mich und Ulf zu sich nachhause ein. Es sollte eine gemütliche Zusammenkunft sein. Ein paar Bierchen auf der Dachterrasse, abends dann würden wir uns Burger bestellen, denn Abhol-Services bei Restaurants waren nun auch wieder erlaubt. Es gab aber noch eine Besonderheit, die dem Tag den letzten "Schliff" verpassen sollte. Zuvor letztgenannter Ulf brächte noch eine Lage "Brownies" mit, denn wenn schon denn schon und so weiter. Ich selbst, der wie oben beschrieben so gut wie keine Erfahrungen mit diesem Zeug hatte, von Brownies ganz zu schweigen, sagte mit einer Mischung aus Neugier, aber auch der Gewissheit zu, dass mir das alles sowieso nichts anhaben würde. Denn wie ich bereits wusste, war ich ja immun!

Am späten Nachmittag fanden wir uns also ein, zu viert hockten wir auf der Dachterrasse, ein, zwei Pils waren getrunken, als Ulf von Werner angehalten wurde, dass es nun ja mal so weit sei. Gesagt getan schlüpfte Ulf in die Küche und erschien wenige Augenblicke später wieder mit einem kleinen Tablett Brownies. Ich konnte es ehrlicherweise kaum mehr erwarten, waren die Wochen zuvor doch von ausgesprochener Untätigkeit und Langeweile geprägt, zumindest im privaten Bereich. Mit ein paar Happen waren die Brownies von uns dreien verzehrt. Lustig, haha. Die Minuten verstrichen. Ich verstieg mich bereits wieder in meinen Immunitäts-Gedanken und war ehrlich davon überzeugt, später noch heimzufahren. Schallendes Gelächter allenthalben als Reaktion. Langsam merkte man, dass die Lacher häufiger wurden. Werner und Ulf scherzten und lachten, auch Benno. Ich hingegen fühlte mal wieder gar nichts, stattdessen halt dann noch ein Pils, wenn's schon da stand. Nach einer guten dreiviertel Stunde fragte ich, ob wir denn vielleicht die nächsten Brownies essen sollten. Ulf brachte noch einmal vier Stück, sprach ja nichts dagegen. Ich beneidete die anderen.  Aber vielleicht würde ich ja nun mal endlich etwas spüren. Nach den zweiten Brownies vergingen noch einmal ca. 10 Minuten als ich plötzlich bemerkte, dass mein Blick etwas nebliger wurde. Werner und Ulf lachten weiterhin lautstark  über so ziemlich alles, während Benno sich tiefer in die Couch lehnte und sich mit notorisch starrem Blick hinter seiner Sonnenbrille verschanzte.

Ich hob nun meinen Blick und bemerkte im gegenüberliegenden Gebäude das Witzigste, was ich je im Leben gesehen habe. Ein Mann etwa unseren Alters war auf seinen Balkon getreten und hatte vor, seinen dort befindlichen Kohlegrill anzuzünden. Zu diesem Zweck hob er seinen Papiersack mit Kohlen und Schlaufengriffen an, dabei sahen die Schlaufen für einen Moment aus, als wären sie die Träger einer Schürze um seinen Hals. Ich konnte nicht mehr. Aufgeregt deutete ich auf den Mann, den sich die anderen doch unbedingt auch ansehen sollten. Meine Augen tränten vor Lachen. Benno startete mich nur emotionslos an, während die anderen beiden schon am Verständnis meiner Erklärung scheiterten, was daran denn bitte so komisch sei. Egal. Offenbar hatte nun endlich die gewünschte Wirkung auch bei mir eingesetzt. Es war ein Traum. Euphorisiert bat ich Ulf darum, doch die vier nächsten (und letzten) Brownies zu holen. Ich wollte mehr davon. Ulf ermahnte mich hingegen, dass es wohl an der Zeit wäre, Maß zu halten, es sei ja auch so schon lustig genug für den Moment. Dem konnte ich nur beipflichten.

Sehr zum Missfallen des ulkigen Kohle-Nachbarns sah es nun so aus, also würde bald ein Gewitter heranziehen, was Werner dazu veranlasste, den Aufenthalt auf der Dachterrasse für beendet zu erklären, zumal unser Verhalten in dieser exponierten Lage ja auch langsam aber sicher etwas auffällig wäre. So gingen wir also nach drinnen. Werner bemerkte beim Reingehen, dass seine Beine mittlerweile etwas wackelig waren, weshalb er unverzüglich sein Bett aufsuchte um sich dort hineinplumpsen zu lassen. Mir erging es nicht viel anderes, konnte mich aber noch auf die Couch begeben, auf der zu meiner linken sich bereits Benno platziert hatte. Die L-Form der Couch mit seinen Beinen ausnutzend, war er nun dort halb sitzend halb liegend und sah mit seinen blonden Haaren und seiner Sonnenbrille wie ein Abziehbild von Heino aus. Ich saß in der Mitte des Sofas und konnte mit meinen Beinen nicht recht etwas anfangen. Runterbaumeln lassen fühlte sich so falsch an, ebenso ein möglicher Schneidersitz. Einzig Ulf verhielt sich völlig normal, saß nun am Esstisch und fragte mit einer Mischung aus Besorgnis und Belustigung, ob jeder in Ordnung sei. Werner brabbelte aus der Ferne irgendetwas aus seinen Schlafzimmer, gefolgt von weiterem Gelächter, ich bemerkte, dass mir glaub ich schlecht und die Couch so ungemütlich sei, während Benno zu Protokoll gab, wir sollten doch endlich mal die Schnauze halten und den Moment genießen.

Ich selbst fühlte mich nun von Moment zu Moment flauer im Magen, und stolperte mehr schlecht als recht ins Badezimmer, wo ich nicht anders konnte als erst einmal zu kacken. Puh, du liebe Zeit, was war jetzt denn plötzlich los. Das ist ja richtig übel, wird wohl doch nix mehr mit heimfahren heute. Ich schlich mit gebeugter Haltung wieder aus dem Badezimmer und sah schnell ein, dass der Weg ins andere Ende des Zimmers zur Couch aufgrund fehlender Körperkraft ein zu weiter sein würde, also setzte ich mich auf den Boden, den Rücken zur Wand und krallte mich mit den Zehen am gegenüberliegenden Treppengeländer ein. Was für ein Rausch. Ulf bemerkte nun, dass wohl ich es sei, der von den Anwesenden derjenige war mit der mit Abstand größten Hilfsbedürftigkeit. Rechts hinter mir fand Werner wieder irgendetwas wahnsinnig witzig, Benno war möglicherweise eingeschlafen und Ulf servierte mir fürsorglich ein Glas Wasser. Ich nahm einen Schluck und augenblicklich drehte sich mir der Magen um. Ein Glück, dass sich die Toilette nur wenige Meter von mir entfernt befand, so konnte ich also gerade noch hineinstürmen, mich über die Schüssel beugen und buchstäblich dreistrahlig eine Fontäne in die Keramik abgeben. Heilige Mutter Gottes!

Ich weiß bis heute nicht wie ich es geschafft habe und doch brachte ich es irgendwie fertig, die Spuren dieser Verwüstung, die sich glücklicherweise ausschließlich innerhalb der Kloschüssel befand, so vollständig zu beseitigen, dass laut eigener Aussage selbst Werners Freundin später nichts davon bemerkt haben wollte. Mit wirklich allerletzter Kraft krabbelte ich auf allen Vieren wieder aus dem Badezimmer und spreizte meinen völlig entkräfteten Körper wieder zwischen Wand und Geländer. Der Kotzgeschmack, der sich nun in allen meinen Gesichtsöffnungen breit gemacht hatte war trocken, unheimlich widerlich und steckte fest. Ich griff nach dem Wasser, das noch immer im Glas neben mir war und konnte trotzdem kaum einen Schluck hinunter bekommen. Ich wimmerte buchstäblich. Von Werner hinter mir war außer gelegentlich kurzem unsinnigen Satzverstücken auch kaum mehr etwas zu hören. Ulf hingegen kam nun wieder her, klopfte mir auf die Schulter und fragte, ob schon alles okay sei. War es nicht, ganz und gar nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich bald das Bewusstsein verlieren würde. Deshalb bat ich Ulf, dass er doch bitte, falls ich tatsächlich nicht mehr ansprechbar sein würde, den Notarzt rufen solle. In meinem Kopf malte ich mir aus, ob sich so wohl der Tod mit einer Überdosis anfühlen würde. Angst keimte in mir auf. Benno schien plötzlich wieder erwachte zu sein und ermahnte mich und uns alle, sich doch verflucht nochmal nicht so anzustellen, das würde jetzt halt ein bisschen dauern. Ulf überkamen nun Schuldgefühle, ob er es beim Backen mit der Dosierung nicht womöglich etwas zu gut gemeint hatte.

Mit wurde bewusst, dass ich mich meinem Schicksal nun zu ergeben hatte, bat um ein Kissen und legte mich auf den Boden. Ich schloss die Augen und war nun gefangen in einer Welt aus Mosaiken, unbeschreiblichen Schwindelgefühlen und Rotationen. Das, wofür die Junkies wohl das Wort "Trip" für sich beanspruchen. Es war grauenhaft. Ich hatte kein Gefühl mehr dafür ob ich wachte oder schlief. Gelegentlich nahm ich wahr, dass Ulf herkam, etwas sagte und wohl nach der Feststellung, dass ich noch bei Bewusstsein war, wieder von dannen zog.

Ich kann nicht mehr sagen ob eine Stunde verging oder deren zwei. Auf jeden Fall erwachte ich aus meinem Fiebertraum und plötzlich fühlte sich die Welt wieder ein Stück weit geerdeter an. Das Wasser war nun wieder trinkbar und nach einem zaghaften Versuch konnte ich nun aufstehen. Unbeholfen schlurfte ich wieder auf das Sofa zurück, auf dem sich noch immer Benno befand und vor sich hin stummte. Irgendwer schaltete nun den TV an und auch Werner kam plötzlich aus dem Schlafzimmer und setzte sich zu uns. Ulf merkte man an, dass er erleichtert war, dass das Schlimmste nun hinter uns zu sein schien.

Der Plan, sich Burger zu bestellen war mittlerweile beerdigt worden. Erste Scherze wurden gemacht, dass an diesem Tag "Gabersee-Werner" und "Notarzt-Moa" geboren worden waren. Es war mittlerweile wohl so 22 Uhr. Es dauerte noch eine Weile, dann kam Ulfs Freundin, die uns dankenswerterweise abholte und uns alle heimbrachte.

Tags darauf waren Werner und ich uns einig, dass wir es mit dem "nie wieder" im Gegensatz zur oft besungenen Alkohol-Kater-Askese hier mehr als nur ernst meinten. Ulfs Brownies blieben fortan im kollektiven Gedächtnis und werden nicht selten als Scherz hervor gekramt, wenn es an einem Abend mal wieder etwas ausufernder wird.

Und so wie er gekommen war ging er dahin, der Abend, der Trip und erst recht das Märchen meiner Immunität.


Samstag, Februar 11, 2023

Corona - ein persönlicher Bericht

Es fing an, wie so etwas eigentlich immer anfängt. Man hört einmal, praktisch auf einem Ohr (wer hört heutzutage überhaupt bei irgendwas noch mit mehr als einem Ohr zu?) was von einem neuen Virus in China. Ach Gottchen. Schon wieder. Was Neues fällt ihnen wohl nicht ein. Vogelgrippe, Schweinegrippe, SARS. Im Dezember 2019 interessiert mich das nicht mehr als jede andere Schlagzeile, die es aus fernen Ländern dann doch einmal gerade so auf Seite eins schafft. Who cares?, denke ich und feiere wieder mal ein etwas ausgefalleneres Silvester, dieses mal bei Dom daheim in Götzing mit einer wirklich lustigen Truppe. Ich meine, dass auch über das Coronavirus, wenn es denn damals überhaupt schon einen Namen hatte, der ein oder andere Satz fiel. Aber ganz im Ernst, dieses Thema würde in ein, zwei Wochen durch sein, wie eigentlich immer. Daran bestand kein Zweifel. Überhaupt hatte ich ganz andere Dinge im Sinn. Im Februar wartete schon mein 39. Geburtstag auf mich und es dürfte ja wohl klar sein, dass das letzte Jahr mit einer "3 davor" noch einmal ordentlich Grund zum Feiern war. Hallo Villa, hier bin ich!

Und nicht allzu lange sollte es dauern, bis genau ein solches Highlight herbeiflattern würde, ok, allerdings mit Ansage, denn der berühmte Mafia-Ball im Schnitzlbauer hatte mich so gut wie noch nie enttäuscht. Das Besondere daran: Ich war an dem Abend sogar noch 38, okay, zumindest bis 24 Uhr, denn dann hatte ich auch noch Geburtstag. Es war wirklich ein unfassbar geiler Abend. So viele Leute, ein perfekter Alkohol-Pegel, unzählige Flirts, mehrere Schmuser, einer dieser Abende eben, die einem lange im Gedächtnis bleiben und nach denen ich weiß, warum ich es immer noch so sehr liebe, des Nächtens auszutauchen.
Bei einer Sache jedoch, hatte ich mich getäuscht, das Virus aus bzw. in China hatte die Schlagzeilen nicht verlassen, im Gegenteil. Was man aus der Stadt Wuhan hörte und sah, brachte einen in der Tat einen Schauer über den Rücken. Sterbende Patienten auf den Gängen, Leichensäcke noch und nöcher, Ärzte und Pfleger in Ganzkörper-Schutzanzügen, weinendes Personal, Überforderung allenthalben. Ich denke nicht, dass man Vergleichbares in der jüngeren Vergangenheit schon einmal gesehen hatte.
Es muss wohl auch in diesen Tagen gewesen sein, als erste Berichte über Ausbrüche in Europa die Nachrichten bestimmten, insbesondere im norditalienischen Bergamo. Es sollte nicht lange dauern, bis die Bilder denen in China mindestens glichen, wenn nicht sogar in ihrer Dramatik überstiegen. Doch auch Deutschland blieb nicht verschont. Von einem ersten Fall in einer Familie in, man mag es nicht für möglich halten, Siegsdorf, wurde berichtet. In unserer "Familien -Whats App-Gruppe" ging es heiß her. Da es über die Gefährlichkeit, um nicht zu sagen Mortalität des Virus, keine allzu großen Zweifel mehr zu geben schien, wurde es einem von Tag zu Tag mulmiger zumute.

Spätestens von März an ging es nahezu Schlag auf Schlag. Ich weiß noch, dass wir am Anfang des Monats an einem Freitag Abend in Senses waren und es praktisch an allen Tischen nur noch um dieses eine Thema ging. Von "wir wissen überhaupt nix", über "das ist bald wieder vorbei, scheißt euch ned an" bis "es sieht richtig übel aus" war alles dabei. Als ich einmal draußen beim Rauchen stand, kam ich mit einem Jungspund vom Nachbarstisch ins Gespräch, der gehört hatte, dass es in Italien auch eine Vielzahl von jungen, gesunden Menschen dahingerafft hatte.
In den nächsten Tagen machten erste Gerüchte die Runde, dass Restaurants schon bald alle schließen müssten, der Profisport, und insbesondere der Fußball, seinen Spielbetrieb würde einstellen müssen, die Hiobsbotschaften nahmen kein Ende. Es gab, ob im TV oder innerhalb der Familie und unter Freunden, kein anderes Thema mehr. Keiner, absolut keiner, wusste, was hier eigentlich los war und wie man damit umgehen sollte. Die Rede war von einem "Superspreader - Event" - ein Wort von vielen übrigens, die sich völlig neu ins kollektive Gedächtnis hineinbrennen sollten - im österreichischen Ischgl, bei dem trotz aller Warnungen, eine riesige Apres-Ski-Party abgehalten wurde. Kilometerlange Staus sah man insbesondere auf dem Brenner aus Italien, bei dem österreichische Beamte den Urlaubern aus dem Auto heraus das Fieber maßen. Spätestens jetzt war eines deutlich: das Virus war europaweit nicht mehr aufzuhalten. Das Chaos war überall riesengroß, Politiker aus aller Herren Länder, auch überregional, kommunal, niemand wusste, was zu tun sei.
Ich erinnere mich an einen Tag in der Arbeit, als ich vorne am Empfang im Radio hörte, dass ein Lungenfacharzt sagte, eine Infektion würde nach seiner Einschätzung langfristige Schäden am Lungengewebe hervorrufen. Kanzlerin Angela Merkel sagte in einer Fernsehansprache auch zu dieser Zeit, dass sich (offiziell nun schon als Pandemie eingestuft) immunologisch betrachtet die Krankheit erst dann wieder erledigt haben würde, wenn eine Herdenimmunität eintreten würde, was hieße, dass sich rund 70 % der Menschen damit anstecken würden. Ich weiß, dass dies in mir etwas auslöste. Ich hatte in dieser Nacht ein Gefühl, dass mit "mulmig" nicht mehr ausreichend umschrieben war, es ging eher in Richtung Angst.

Es ist nun so, dass sich die nachfolgenden Ereignisse weltweit soweit verzweigten und es keinen allzu großen Sinn mehr macht, auf diese im Einzelnen einzugehen, sei es weil die Pandemie sich wie ein Lauffeuer über den USA verbreitete, die rasend schnelle Entwicklung der Impfstoffe, der alternative Umgang in Schweden, das Abebben in China usw usf. Es macht schlichtweg keinen Sinn, darauf einzugehen, zumal es einer tiefgreifenden Recherche zu allem Möglichen erfordern würde, um nicht ständig ein "ich glaube" oder "ich meine mich zu erinnern" vorweg zu schicken. Nicht umsonst hieß dieser Beitrag auch "eine persönliche Geschichte". "Hieß", da ich mich jetzt, da ich diese Zeilen schreibe entschieden habe, den Titel zu ändern, da es mir schwer fällt, diesen Text einem klassischen Narrativ unterzuordnen. Vielmehr werde ich im Folgenden einfach mehr oder weniger zusammenhanglose Anekdoten aneinanderreihen, die, sofern mich meine Erinnerung nicht täuscht, aber idealerweise chronologisch korrekt dargestellt werden.

Müßiggang

In der Arbeit ist es zunächst ein Gerücht, doch wenige Tage später wird es klar. Die Kurzarbeit kommt. In zwei Teams eingeteilt wird in eben zwei Schichten gearbeitet. Die ersten Wochen besonders kurz. Entweder von 7 bis 12, oder von 13 bis 18 Uhr, kurz darauf dann jeweils etwas länger. Der Stress ist bei mir im Lager, im Gegensatz zu praktisch allen anderen Abteilungen gigantisch. Nichtsdestotrotz genoss ich die Zeit. Besonders die freien Vormittage sind irgendwie besonders positiv im Gedächtnis geblieben. Ich spiele zu der Zeit Shadow of the Colossus durch. Während die Kurzarbeit in vielen anderen Branchen Dauerzustand wird, endet die unsere sehr schnell, denn natürlich wird die Karte der "unverzichtbaren Gesundheitsbranche" sehr schnell gezogen. Schade.

Frische Luft

Im Laufe des Aprils gehe ich ein paar mal unter anderem mit Julia und ihrem Hund nach der kurzen Arbeit in einem nahen Wald spazieren. Es wirkt alles unwirklich, leiser, still. Es sind diese Momente, weshalb ich diese kurze Zeit als beinahe positiv in Erinnerung habe. Kaum jemand ist unterwegs, man unterhält sich darüber was man darf, von Leuten die 500 Euro bezahlt haben, weil sie im Auto unterwegs waren (grundlos!) und fragt sich, ob wohl Polizisten im Wald patrouillieren. Zweifellos spürt man aber vermutlich das erste mal seit Generationen eine Härte und einen Durchsetzungswillen des Staates, von dem man bisher kaum zu Träumen gewagt hatte.

Du hast es!

Eines schönen April-Wochenendes gehe ich spazieren. Es ist ein wunderschöner Tag. Ich spaziere durch Wälder und über Wiesen. Ich liebe diese Jahreszeit, wenn sich der Frühling langsam durchsetzt. Kaum jemand ist unterwegs, da über jede Bewegung außerhalb der eigenen vier Wände ein großes Fragezeichen schwebt. Spazieren gehen darf man, soviel ist klar. Wenn zu mehreren, dann nur mit dem eigenen Partner, aber das ist ja nicht zu verifizieren. Kurz bevor ich bei meiner Mutter angekommen bin (ich glaube, das durfte man auch) sehe ich mehrere Personen im Kurpark in Siegsdorf. Man grüßt sich, man sieht sich an und zumindest ich denke mir: wer von euch hat es? Gebt es doch zu!

Maske auf!

Relativ früh hört man aus Politik, Wissenschaft und Medien, dass zur Infektionsvorbeugung eine Maske das Gebot der Stunde sei. Aus Reportagen aus dem asiatischen Raum sieht man schon immer Menschen, die sich mit den typischen OP-Masken im Raum bewegen. Bei uns ist zunächst einmal die Alltags- und Stoffmaske im Gespräch, diese kann auch gerne eigenhändig aus Stoff hergestellt werden. Die sogenannten AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) entstehen als der große Heilsbringer in dieser Zeit. In der Näherei bei uns in der Arbeit werden eifrig Masken genäht, wasch- und wiedereinsetzbar, versteht sich. Es dauert nicht lange und die Maske, später überwiegend die für mich überaus lästige, weil starre FFP2-Maske, ist im Alltagsleben, zunächst im Supermarkt, nicht mehr wegzudenken - und bleibt es eine sehr lange Zeit.

1. Corona - Date

Recht früh wird mir klar, dass in Ermangelung an Möglichkeiten, überhaupt irgendwelche Leute zu treffen, von Neuen ganz zu schweigen, es nicht leicht werden wird auf dem Dating-Markt. Doch weit gefehlt. Es wird ganz im Gegenteil das Jahr der besonders interessanten Begegnungen. Da dies hier aber der Platz für meine Erlebnisse rund um die Corona-Pandemie ist, werden diese möglicherweise in einer anderen Geschichte behandelt. Ich weiß aber noch , wie ich noch sehr früh, ich glaube, es war sogar noch März, Temi in Pfarrkirchen besuche. Es fühlte sich vollkommen verrückt an auf der Bundesstraße zu fahren und mit Ausnahme von wenigen LKWs und noch weniger anderer PKWs, fast alleine auf der Straße zu sein. Oft denke ich mir meine Story durch, die ich der Polizei erzählen würde, sollte ich aufgehalten und gefragt werden, was zum Teufel ich auf der Straße verloren hätte. Glücklicherweise kommt es dazu nicht. Als ich mit Temi spazieren gehe, steuert sie eine Apotheke an und fragt dort nach Händedesinfektionsmittel. Ausverkauft! Wer hätte das gedacht?!

Tägliche Routine

Eine meiner meistgenutzten Apps auf meinem Smartphone ist die von Spiegel-online. Das war schon Jahre vor Corona so, aber nun erst recht. Es vergeht für lange Zeit, ja praktisch für die nächsten zwei Jahre, kein Tag, an dem ich nicht die Corona-Situation regional, überregional, deutschland- und europaweit, ja weltweit checke. Es ist in meinem Kopf nach wie vor das Monothema schlechthin. Vergleiche mit den anderen Ländern (ja, Italien, Frankreich und UK sind noch wesentlich schlechter dran) beherrschen meinen Alltag. Schlechte Laune, wenn die Kurve steigt, gute, sobald sie im Sinken ist. Wieder ein Begriff, mit dem zuvor kein Mensch irgendetwas zu tun hatte macht seinen Weg von der Epidemiologie bis hinunter zu den Stammtischen: die (7-Tage-) Inzidenz.

Locker und leicht

Auch wenn es für viele Schwurbler und Querdenker, noch so zwei Begriffe mit Hochkonjunktur seit Beginn der Pandemie, schwer zu verkraften, noch weniger zu kapieren ist: wie gut die demokratischen Strukturen in unserem Land funktionieren, ist ein sehr bemerkenswertes Faktum in diesen Tagen. Man kann sich vorstellen, dass, sobald Talk- und Politshows (ohne Zuschauer und mit viel Abstand versteht sich) langsam im Fernsehen wieder anrollen, es auch dort praktisch kein anderes Thema als Covid 19 gibt. Das ist natürlich folgerichtig: Die gesellschaftlichen Verwerfungen, die mit der Pandemie alleine auf nationaler Ebene einhergehen, sind schier gigantisch. Einzelhändler, Restaurants, Hotels (an Bar- oder Clubbesitzer bräuchte man nicht im Entferntesten zu denken), alle Bangen um ihre Existenz. Da in der Wirtschaft, erst recht in der globalen, alles mit Allem irgendwie zusammenhängt, trifft es im Prinzip so gut wie alle Branchen direkt oder indirekt. Der Staat soll, ja, er muss zahlen. So lange, wie es eben sein muss. Über wie viel und wie lange wird ausgiebig verhandelt, auch mit den Solo-Selbständigen (der nächste Begriff aus der Corona-Kiste). Der Streit zwischen Team Vorsicht (...) und Team Lockerung wird Woche für Woche lauter. Für beides sprechen gute Argumente. Man muss zugeben, es ist spannend, und kompliziert, verflixt kompliziert. Die föderale Struktur der Bundesrepublik tut ihr Übriges dazu.
Mit dem Sinken der bundesweiten Inzidenzen irgendwann ab April wird klar, dass sich Team Lockerung verhalten durchsetzen wird. Eine der Lockerungen ist wahrhaftig bemerkenswert und ist mindestens europaweit eine mutige Pionierleistung. Die Bundesliga startet mit dem Männerfußball (wie es bei den Frauen aussah weiß ich ehrlich gesagt nicht) als erste Liga Europas nach vielen Wochen Pause; natürlich unter Ausschluss von Zuschauern in leeren Stadien. Ich freue mich wie verrückt, denn auch wenn erst wenige Wochen seit dem "Lockdown" vergangen sind, so sehne ich mich unheimlich nach jedem Stück Normalität.

Lockerung, die Zweite

Jetzt wird es richtig spannend. Mit dem Beginn der wärmeren Jahreszeit sperren die Biergärten, ich meine eine Weile später auch die Innenräume und somit sämtliche Restaurants wieder auf. Wobei gerade in den Anfangsmonaten der Pandemie die Angst vor (erst rechts geschlossenen) Innenräumen extrem groß ist. Aber ganz so einfach ist es selbstredend nicht. Als ich Mitte Mai zum ersten mal im Wochinger bin, ist der komplette Biergarten mit Absperrband eingekreist, eine Person wartet an einem schmalen Eingang und führt mich an einen Tisch, wo die Personalien mit Telefonnummer (für Kontakt im Falle späterer Infektionen) aufgenommen werden. Treffen darf man anfangs denke ich nur eine Person, später wird hier weitgehend Normalität zurückkehren. Über die Sinnhaftigkeit, der lange anhaltenden Regel über die Pflicht der Maskierung, wenn man aufsteht und die Toiletten aufsucht, könnte man lange debattieren. Es ist wie es ist und dankbar nehme ich alles in Kauf.

Schwurbelalarm

Wenn etwas recht schnell klar wird ist, dass man als Person in der Gesellschaft Farbe bekennen muss. Mögen die ersten Wochen, vielleicht sogar Monate, eine eigentümlich heimelige Atmosphäre des Zusammenhalts über alles und vor allem jedem gebracht haben, ist es damit schnell wieder vorbei. Die schon lange mehr im Untergrund existierende Szene der Verschwörungsgläubigen sieht Ihre Zeit wie nie zuvor gekommen und legt los, wie man es nicht für möglich gehalten hat. Es ist müßig, auf das alles überhaupt einzugehen, so groß ist der Unsinn. Entweder ist Corona nur erfunden, überhaupt nicht gefährlich und/oder dient nur dem Zwecke des "Great Resets" der Installation der "New World Order" angeführt von Bill Gates, George Soros, den Rothschilds, Juden, Freimaurern etc pp. Man könnte hier alles Mögliche aufzählen, es würde keinen Unterschied machen. Die Szene ist nicht unbedeutend klein, im Wachsen begriffen und divers; von klassischen Neonazis in Springerstiefeln bis zu esoterisch linksalternativen Liegerad-Fahrern ist alles zu finden, was vom Establishment, welches durch Corona folgerichtig einen gesellschaftlichen Boost erfährt, die Schnauze voll hat. Eine wahrhaftig unheilige Allianz. Angeführt wird diese von verschiedenen Figuren, eine Hand voll davon stechen heraus und werden zum Sinnbild der Verrücktheit der Situation. Zu nennen sind hier die Mediziner Dr. Sucharit Bakhdi und Bodo Schiffmann, zum Anderen der lautstark auftretende, zuvor hauptsächlich durch vegane Kochbücher in Erscheinung getretene Attila Hildmann, sowie Musiker Xavier Naidoo. Es sollte interessant sein mitzuerleben, wie sich die Situation, vor allem für die beiden Letztgenannten, noch entwickeln würde. Was letztlich alles überdauert ist, dass der eigentlich positiv besetzte Begriff des "Querdenkers" nachhaltig beschädigt und zum Synonym wird für die Menschen die den Staat und insbesondere die Coronamaßnahmen radikal ablehnen. Zwei Jahre später wird sich das langsam wandeln, aber dazu später mehr.
Im September 2020 bin ich mit einem Freund am Stadtplatz. Dort ist eine Demonstration der Querdenker angemeldet und neugierig wie ich bin, will ich mir das Ganze einmal ansehen. Ich kann es kurz machen. Ich habe mich selten in meinem Leben so fremd geschämt und musste mich stark zusammen reißen, den lächerlichen Rednern nicht ins Mikro zu schreien. Bis zum Ende hielt ich es nicht durch.

(Fast) unbeschwerter Sommer

Spätestens im Laufe des Juni beginnt die Welle der Infektionen abzuflachen. Noch immer sehe ich tagtäglich die Meldungen. In den USA wird es schlimmer, bei uns ist es recht mild, nicht selten gibt es im Landkreis Traunstein beispielweise nicht einen neuen Infizierten pro Tag. Ich habe über Tinder jemanden kennen gelernt, mit der ich viel Zeit in diesem Sommer verbringe, später auch in Frankfurt. Es fühlt sich frei an, an den Tagen zumindest und an frischer Luft. Das Nacht- und Kulturleben ist nach wie vor weitestgehend kaltgestellt. Ich glaube es machen im August die Kinos wieder auf. Ich schaue mir zB. Tenet an. Es ist eine tolle Zeit, an die ich mich gerne zurück erinnere.
Nach langer Planung fahren wir Mitte August nach Prag und feiern dort über ein Wochenende Andis Junggesellenabschied. Es ist dort wie in einer anderen Welt. Corona scheint zu der Zeit dort keine Rolle zu spielen. Alles ist offen, die Stadt lebt am Tag wie in der Nacht. Bars, (Strip-)Clubs. Vereinzelt wird Fieber gemessen: lachhaft. Es ist ein Junggesellenabschied wie man ihn sich besser kaum wünschen könnte. Und nach diesem Erlebnis keimt in mir zum ersten mal der Gedanke auf, den ich fortan nicht mehr vollständig unterdrücken kann: müsste es denn bei uns in Deutschland wirklich so streng sein wie es ist? Am Tag unserer Rückkehr gewinnt der FC Bayern das eifrig aus der Taufe gehobene Champions League - Endturnier, später im August heiratet meine Freundin Melly in Grassau, Wei Fang, mein Tinder-date ist mit dabei, ein paar weitere Wochen später heiratet Andi seine Kristina in Simbach, ich als Trauzeuge an seiner Seite. Es ist wahrlich der wunderbare Abschluss eines wunderschönen Sommers, den ich in meinem Leben nicht eintauschen möchte. Jedoch: Seit Anfang September steigen die Corona-Fallzahlen, anfangs langsam, ab Oktober dann rasanter. Die ersten melden sich zu Wort, die besserwisserisch ironisch poltern, wie das denn sein könne, wo die (sturen) Politiker in Verantwortung ja so getan hätten, als wäre Corona mit dem Abflauen der Frühlingswelle doch vorbei gewesen. Diesen Leuten möchte ich auch heute noch (das Argument kam auch ein Jahr später wieder aus der Mottenkiste) entgegnen: Was hätte man denn sonst tun sollen? Bei Nullinfektionen die Leute zuhause einsperren? Bei solchem Blödsinn geht mir auch heute noch die Hutschnur hoch. Eine Antwort auf diese Frage wurde selbstverständlich von niemandem je gegeben. Hauptsache neunmalklug irgendetwas rausgehauen.
PS: Zuletzt sei der Vollständigkeit halber und auch fairerweise gesagt, dass nur wenige Wochen nach unserem Besuch in Prag die Fallzahlen dort und in der ganzen Tschechischen Republik durch die Decke gingen und dort ebenso mit Maßnahmen wie bei uns reagiert wurde.

Unworte

In den Jahren der Pandemie hat es an Unworten und Framing-Begriffen, die vermutlich auch so schnell nicht mehr aus dem Sprachgebrauch verschwinden werden, wahrhaftig nicht gemangelt. Mein schlimmstes Wort wird aber eines sein, das mittlerweile Gott sei's gedankt wieder in der Versenkung verschwunden ist: Haushalte! Als im Septemer und nachher natürlich noch mehr, die Infektionszahlen wieder ansteigen kommen Landes- und Bundesregierungen auf einige neue Ideen. Kontaktbeschränkungen durch Limitierung der beteiligten Haushalte. Ein Traum für eine Single-Person. Zwei Haushalte dürfen sich treffen. Ich also einen Freund. Keine Frage, dass Restaurants und Bars im November wieder schließen müssen, zuerst über einen "Lockdown - Light", als dieser nicht wie gewünscht die Zahlen drückt, kommt der harte Lockdown und dauert den halben Herbst und noch über den Winter hinaus bis in den April. Wo genau der Unterschied zwischen "Light" und "Hart" bestand, weiß ich nicht mehr. Was ich weiß ist, dass mich die nicht enden wollenden Einschränkungen mürbe und zunehmend wütend machen. Meine Sehnsucht nach Party und Nachtleben, so illusorisch das zu dieser Zeit auch gewesen sein mag, wird immer stärker. Je länger der Lockdown anhält, desto mehr wächst auch der Unmut in der Bevölkerung über mindestens fragwürdige Maßnahmen wie Rodelverbot für Kinder im Freien, Schottern von Spielplätzen und die obligatorische Ausgangssperre nach beispielsweise 21 Uhr. Stets folgt meinerseits ein Blick ins europäischen Ausland, das - nicht immer aber auch nicht selten - Dinge weniger verkrampft und liberaler handelt. Und da reichte oft ein Blick nach Österreich, nicht etwa Schweden.

Game-Changer

Das folgende Kapitel gehört mit zu den kontroversesten Themen der ganzen Zeit. Hier wurde von so vielen Leuten so viel gesagt, dass es von meiner Seite nicht Not tut, zu erklären worum es geht. Tatsache ist, dass ab Mitte Dezember zuerst in den USA, kurze Zeit später in Europa letztlich von mehreren Herstellern Impfstoffe gegen das Corona-Virus zur Verfügung standen und - vorläufig; an diesem Begriff hängen sich viele bis heute auf  - zugelassen wurden. Es ist müßig zu beschreiben wie anfangs viel zu wenige, heute Abermillionen zu viele Dosen vorhanden waren bzw. sind. Für mich war klar, in der Minute, an dem ich einen abbekommen konnte, würde ich mir meine Dosis abholen. Durch meinen Beruf konnte ich bereits im Mai meine erste und sechs Wochen später meine zweite Impfung bekommen. Gesellschaftlich führte das zu großen Streit, spätestens dann, als gewisse Zugangsbeschränkungen für Geimpfte aufgehoben wurden, Stichwort 3G, 2G(+). Es gab im Herbst 2021 eine Zeit, in der ich mich für kurze Zeit auf Seiten derer wähnte, die eine Impfpflicht befürworteten. Nach einer Weile distanzierte ich mich davon wieder, nicht zuletzt weil ich aus meinem persönlichen Umfeld die Diskriminierung Ungeimpfter (ja, ich finde den Begriff passend) mitbekam. Spätestens nach meiner 3. Impfung im Dezember war für mich klar, dass ich das fast ausschließlich für mich persönlich und wegen der Umgehung von Einschränkungen machte. Es war damals noch nicht abzusehen, das gebe ich zu, aber spätestens jetzt weiß man, dass der Fremdschutz durch die Imfpung, sofern überhaupt vorhanden, statistisch gesehen völlig zu vernachlässigen war.
Letzten Endes bleibt vieles Spekulation. Ich halte es aber für unbestritten, dass die Impfung das Leben von zahllosen betagten und vorerkrankten Menschen rettete. Inwiefern dies auch bei jüngeren Menschen der Fall ist, vermag ich nicht zu beurteilen, habe aber meine Zweifel. Allerdings muss man auch fairerweise sagen, dass mildere Varianten das Virus seit einem guten Jahr sehr viel harmloser gemacht haben, womit wir bei einem neuen Thema wären, dass ich auch hier kurz anschneiden möchte. Wildtyp, Alpha, Gamma, Delta, Omikron, diverse Untervarianten...die Corona Pandemie ist ein Paradebeispiel dafür, wie schwierig es ist, ein komplexes Thema der Virologie und Epidemiologie einer (Welt-)Bevölkerung nahe zu bringen, die aufgrund des Internets und Social Media in Ihrer Gänze un- und halbinformiert ist. Es ist praktisch unmöglich. Schon allein, weil sich die Wissenschaft oder "Team Science", wie es in aufgeklärten Kreisen heist, selbst in den seltensten Fällen einig sind. Die ganze Kommunikation war von Anfang bis zum Ende ein einziges Trauerspiel. Ich sage das allerdings auch insofern demütig, weil ich absolut keine Lösung für das Problem anzubieten habe.

Sehnsüchte

Als das Jahr 2021 in den Frühling geht, bin ich in einem wirklichen Tief. Ich bin mittlerweile 40 Jahre alt und es mag für viele gleichaltrige ein absurder Gedanke sein, aber ich will nichts mehr als endlich wieder fremde Leute sehen, mich durch Menschenmengen drücken, stickige Luft atmen und tanzen. Ich gehe viel und regelmäßig spazieren. Eines Freitags nach der Arbeit mache ich eine größere Runde, es ist sonnig und warm, auf halber Wegstrecke telefoniere ich mit Fems und wir reden über den Super-League-Skandal im europäischen Fußball (warum diese Erinnerung hier nicht niederschreiben...?). Ich komme über Axdorf zurück nach Haslach. Am Kreisverkehr sehe ich ein Auto, auf der Beifahrerseite (der mir zugewandten Seite) sitzt eine junge Frau, vermutlich Anfang 20. Unsere Blicke treffen sich für ein paar Sekunden. Es versetzt mir geradezu einen Stich. Wie lange habe ich keine junge Person mehr ohne Maske gesehen, die mir in die Augen geschaut hat? Ich will das wieder zurück. Doch wann? Irgendwann auch zu dieser Zeit: Ich habe einen Traum. Ich befinde mich in einer Bar. Es sind viele Leute da, nicht dicht gedrängt, aber schon viele. Ich unterhalte mich angeregt an der Bar. Irgendwann drehe ich mich um 180 Grad und sehe eine riesige Fensterfront. Ich befinde mich nun im Casino in Salzburg und vor der Front sind etliche Polizeiwägen vorgefahren, die diese illegale Party nun sprengen werden. Ich wache auf und fühle mich miserabel. Ich will feiern. Biergarten und Stammtisch mögen meinen engsten Freunden für ein erfülltes gesellschaftliches Leben reichen. Bei mir tut es das nicht. Es ist Sommer. Ich bin mit Lena, Schorsche, Vreni, Micha und noch ein paar anderen im Sailer Keller, bevor der Biergarten sich leert wollen wir noch nicht nach Hause. Wir haben die verrückte, wenngleich abwegige Idee, noch kurz bei der Esso-Bar (über der Villa) vorbei zu schauen. Als wir uns nähern, hören wir im Inneren tatsächlich einige Stimmen. Ein paar Angestellte, vielleicht auch der Besitzer?, sind noch da und wollen gerade zusperren, als wir so gegen halb 12 an der Eingangstüre stehen. Zu unserer großen Überraschung und Freude machen sie noch einmal auf, schmeißen die Musik an und wir setzen uns an die Bar. Was für ein wunderbares Gefühl, nach kurzer Zeit kommen noch einmal ca. zehn Leute. Einige tanzen ein wenig, wir gehen auf die Terasse. Ich bin geradezu glücksbeseelt. Nach einer guten Stunde ist Schluss. Für die Bar ist das Ganze vermutlich dann doch zu unsicher. Was wir da taten war eindeutig nicht erlaubt. Für mich ist es dennoch ein unvergesslicher Abend.
Der Sommer endet, der Herbst naht. Die Infektionsschutzgesetze der Länder und des Bundes sind längst zu einem Buch mit sieben Siegeln verkommen. Doch plötzlich sehe ich etwas, das ich erst kaum glauben kann. Die Villa öffnet am 1.10. ihre Pforten. Ungläubig frage ich im Bekanntenkreis herum. Manchen ist die Sache noch "zu heiß". Für mich ist klar, dass ich da hin will. Wer weiß, was noch kommt? Letzten Endes gehe ich mit einer Azubine aus der Arbeit und ihrem Kumpel. Test oder Impfausweis sind beim Einlass selbstredend Pflicht. Es sind so viele Leute da, es ist unglaublich voll. Ich wandele durch diesen versifften, eklig riechenden und doch so hochgeliebten Ort wie in Trance, treffe unzählige Leute. Es wirkt so unwirklich, ein wenig so, als sehe ich alles aus dem Inneren einer Seifenblase. Eine Woche später komme ich erneut, Ende des Monats bin ich dann noch auf einer Ü30-Party im Schnitzlbaumer, danach ist es mit solcherlei Unterhaltung wieder vorbei. Aber es bleibt das Gefühl, dass es wieder möglich ist und früher oder später wieder kommen wird. Und doch merke ich, dass, wie es so oft im Leben ist, die Realität mit dem Traum nicht Schritt halten kann.

Der Weg

Der Winter 2020/2021 endet. Wir gehen in das zweite "Corona - Jahr". Die klamme Hoffnung, die sich  noch bis in den Spätsommer 2020 in weiten Teilen der Bevölkerung gehalten hat, dass 2021 wieder normales Leben möglich sei, ist nach dem nicht enden wollenden Winter-Lockdown endgültig Geschichte. Weiterhin gibt es nächtliche Ausgangssperren, Maskenpflichten allerorts und Haushalte müssen strikt abgezählt werden, denn theoretisch wartet hinter jeder Hecke ein übelgelaunter Nachbars-Greis, der es bei Verstößen gegen allerlei Verordnungen nicht gut mit einem meint. Es zeichnet sich in Europa ab, dass der/den deutschen (Länder-)Regierung(en) im internationalen Vergleich die Gesundheit der Bürger ganz besonders am Herzen liegt. Merkel wird gegen Ende ihrer weitgehend makellosen und angesehenen Amtszeit mit Ihrer gescheiterten "Oster-Ruhe" noch einmal in ein ungeahntes Fettnäpfchen treten. Es folgt der Sommer und die Nachholung der im Jahr zuvor noch ausgefallenen europaweiten Fußball-Europameisterschaft. Hier wird es besonders deutlich, dass das deutsche Fernsehen und hier ganz besonders der öffentlich rechtliche Rundfunk ihren Bildungsauftrag sehr ernst nehmen. Während fast alle anderen Länder, in denen Spiele stattfinden ihre Stadien weitgehend auslasten, ist es in den Deutschen still. Zuschauerzahlen sind streng begrenzt, selbstverständlich herrscht Maskenpflicht. Da man sich vorstellen kann, dass sich auf den Tribünen kaum einer daran hält wird weniger über Sport, als über die schreckliche Unvernunft der Querdenker-Fans geredet. In anderen Stadien herscht ausgelassene Stimmung, in Deutschland hebt die ARD den Spielern nach dem Spiel aus fünf Metern Entfernung ein in Plastikfolie gewickeltes Mikrofon unter die maskenverpackte Nase. Ich schäme mich jeden Tag ein bisschen mehr für dieses Land. Als der damals noch nicht ministeriale Karl Lauterbach über die vollen Stadien in Ungarn und England gefragt wird, ist er sich sicher, dass dies zehntausende Menschenleben kosten wird. Solche und ähnliche Aussagen bleiben grundsätzlich unkritisiert, ja noch nicht einmal kommentiert, stehen.
Im Juli bin ich mit einer Freundin in Traunstein im Kino. Sie fragt mich ob ich in ein paar Wochen zum "Moments-Festival" in Seebruck kommen möchte. So um die 30 Euro Eintritt würde es kosten. Wäre mir egal, denke ich, endlich wieder fremde Menschen sehen, aber ganz so einfach ist es dann freilich doch nicht. Auf 500 Leute sei die Veranstaltung beschränkt, sagt sie. Wer schon einmal das weitläufige Strandbad in Seebruck gesehen hat, weiß, dass 500 Leute hier alles andere als eine große Zahl sind. Es gäbe auch einen abgesperrten Disco-Bereich, in dem, so berichtet sie, 30 Leute am Tisch mit Maske tanzen dürften. Ich bin begeistert. Während Großbritannien und Dänemark den "Freedom Day" ausrufen (unter massivem Protest der deutschen Regierung und Medien im Einklang, versteht sich) darf ich mitten im Sommer "am Tisch mit Maske tanzen", unter strengem Blick des Ordnungspersonals, wie man zweifelsohne annehmen darf. Ich pfeife darauf. Auf die Veranstaltung, wie auf diejenigen, die jede strenge Maßnahme aufs Blut verteidigen. Ihr habt mich verloren. Schade.

Das Ende

2021 geht. Es ist Silvesterabend. Kurz zuvor hat die neuartige Omikron-Variante das Ruder im Infektionsgeschehen übernommen. Während Experten in einigen wenigen anderen Ländern schon früh zu erkennen glauben, dass die fehlende Krankheitsschwere und Grippeähnlichkeit der Syptome das Ende der Pandemie einläuten sind sich die hiesigen Experten einig, dass wir es sehr bald mit keiner weiteren Infektionswelle, sondern einer "Infektionswand" zu tun bekommen werden. Jens Spahn fällt mit der berühmten Aussage auf, dass bis zum Frühjahr ein jeder entweder geimpft, genesen, oder gestorben sei. Es bleibt dabei, ein pragmatischer, ein wenig unverkrampfterer Umgang mit dem Thema ist aus verschiedenen Gründen hierzulande offensichtlich nach wie vor nicht möglich. In der Regierung herrscht anhaltender Streit zwischen Justizminister Buschmann und dem neuen Gesundheitsminister Lauterbach. Letzterer, als Hardliner mittlerweile weithin bekannt, warnt, befürchtet und verbreitet Panik, als ob es kein Morgen gäbe. Es hilft alles nichts, der Kompromiss steht, den auch Lauterbach missmutig seiner treuen Anhängerschaft verkaufen muss. Anfang April verschwinden Maskenpflicht im Einzelhandel und Restaurants, im März dürfen endgültig Clubs und Bars aufsperren, zunächst noch mit strenger Impf- oder Genesenenkontrolle (das Wort habe ich wohl gerade erfunden), ab April ohne weitere Einschränkungen. Im öffentlichen Regional- und Fernverkehr bleibt es zunächst bei verschiedenen Arten der Maskenpflicht. Wieder einmal macht es die föderale deutsche Kultur sich selber schwer. In meiner Arbeit werde ich noch bis zum 31.1.2023 eine OP-Maske tragen müssen, sobald ich meinen Arbeitsplatz verlasse. Nach und nach normalisiert sich im Laufe des Jahres alles. Weitestgehend stillschweigend. Volle Stadien sind für Moderatoren nun kein Problem mehr. Keiner fragt mehr nach einem Schnelltest oder Impfstatus. Einmal verzichte ich auf einen Besuch mit meinen Freundinnen, weil eine davon - nicht einmal die Gastgeberin selbst - auf einen negativen Schnell/-Selbsttest der Anwesenden besteht. Für mich ist das Ganze erledigt. Ich habe keine Angst mehr. Punkt. Lieber verzichte ich auf diesen Abend, als bei diesem Theater weiter mit zu spielen. Spätestens im Sommer redet kein Mensch in meinem Umfeld mehr darüber. Es fällt mir zunehmend leicht, mir der Richtigkeit meiner Ansicht sicher zu sein. Im Juli bin ich für ein paar Tage auf einem Date in Liechtenstein. Dort, wie auch in der Schweiz hat kein Mensch mehr zu irgendetwas Maske auf, natürlich auch nicht in Bus und Bahn. Vereinzelt ertappe ich mich dabei, wie ich beim Anblick von Personen mit Maske im Supermarkt die Stirn runzle. Ich muss mich selber maßregeln. Ich war und bin ein liberal denkender Mensch. ich bin mir selbst oft nicht mehr im Klaren darüber, was die letzten drei Jahren mit mir und meiner Psyche angestellt haben.
Zum Herbst fängt Minister Lauterbach ein letztes Mal an zu irrlichtern. Sein neues Infektionsschutzgesetz gibt den Ländern die Kompetenz, alles Mögliche zu schließen, und öffentliche Gebäude unter Test-Zwang zu stellen, es sei denn, die letzte Impfung liegt noch nicht länger als drei Monate zurück. Lauterbach übersieht, dass der Wind sich gedreht hat. Nicht eine der 16 Landesregierungen macht, sehr zum Missfallen des Bundesgesundheitsminister, von derlei Möglichkeiten Gebrauch, im Gegenteil. Mehrere Länder kippen die Isolationspflicht, auch die Maske im regionalen ÖPNV fällt Stück für Stück. Es scheint vorbei zu sein. Endgültig.

Schuld und Sühne
Heute, am 11. Februar 2023, während ich diese letzten Zeilen schreibe, denke ich noch einmal darüber nach, was alles passiert ist, was mich glücklich, traurig, verzweifelt und hoffnungsvoll gestimmt hat. Aktuell wird von vielen Seiten gefordert, die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gezogen werden, sich wenigstens öffentlich mit ihren eigenen Fehleinschätzungen auseinandersetzen. Ganz besonders ist hier natürlich Karl Lauterbach im Blickfeld, der zunächst als Mahner der Nation, ab Dezember 2021 als Bundesgesundheitsminister das Geschehen entscheidend mitbestimmt und gedeutet hat. Eine meiner grundsätzlichen Eigenschaften ist, dass ich ein sehr verzeihender und nicht nachtragender Mensch bin. Jedes Nachtreten, sobald sich der emotionale Hormonspiegel im Gehirn wieder gesetzt hat, ist mir fremd. Wir alle wussten nicht, was da auf uns zurollt und womit diesem Virus am Besten zu begegnen sei. "Schwamm drüber und gut is'", bin ich geneigt als Schlusswort zu resümieren. Und doch. Von Rücktrittsforderungen und "zu Kreuze kriechen" halte ich wie gesagt wenig. Aber jeder Einzelne, der spätestens ab 2021 mit einer unnachahmlichen Selbstüberhöhung die wildesten Dinge von der Bevölkerung gefordert hat und jede berechtigte Kritik daran mit Verweis ins Ausland mit absurdesten Querdenker- und Nazivergleichen delegitimiert hat sei gesagt: Einen Fehler zu machen ist in Ordnung. Aber etwas Demut steht einem Jeden gut zu Gesicht.

Samstag, Dezember 12, 2020

Alien Invasion

Ich habe nie viel für Spotify und dergleichen Zeugs übrig gehabt. Wenn mir Leute Spotify - links auf Whatsapp schicken winke ich innerlich ab. Es macht vermutlich keinen Sinn, jemanden, der solche links verschickt zu erklären, dass es Menschen wie mich gibt, die die app noch nicht einmal runtergeladen haben, von einem Premium account ganz zu schweigen. Dabei halte ich mich eigentlich für einen, der zumindest was Populärmusik angeht, einiges auf dem Kasten hat. Selbst von meiner Schwester Hirn, die selbst ein Sontext - Master sondersgleichen ist erreicht mich gelegentlich ein Anruf mit der Frage, was dieses oder jenes doch gleich für ein Lied gewesen ist. Nicht selten habe ich, wenn nicht eine Antwort, zumindest einen entscheidenden Hinweis parat. Beim Autofahren jedoch, bevorzuge ich seit vielen Jahren nun, ob für kurze oder lange Strecken, mittlerweile Bayern 2, einen Bildungsradiosender mit immer wieder hochinteressanten Sendungen zu allen erdenklichen Themen.

Und so lief dieser auch den halben Kilometer von meiner Wohnung zum Lidl - Discounter, als ich mich im Frühjahr des Jahres 2016 aufmachte, meine Samstagseinkäufe zu erledigen. Es war etwa 13:45 Uhr und es ging dieses mal um ein astronomisches Thema. Um möglicherweise flüssiges Wasser auf einem der Jupitermonde und dergleichen mehr. "Nettes Thema, immer wieder gerne gehört", dachte ich mir, gerade die Haslacher Kirche passierend. Als ich mich nur wenige Augenblicke später schon auf Höhe meines Zielortes befand erfuhr ich, dass es sich hierbei um eine Sondersendung handelte, die deshalb gesendet wurde, da kurz zuvor unbekannte Flugobjekte in der Erdatmosphäre entdeckt wurden...

WIE BITTE?!?

Hatte ich das eben richtig gehört? Zum Teufel noch eins, jetzt war es so weit. Wenn mir der jahrelange Konsum unter anderem von Filmen wie Indepence Day oder Krieg der Welten eines gelehrt hatten dann, dass Außerirdische, die sich offenbar in größerer Menge im Orbit der Erde aufhielten, mit Sicherheit nichts Gutes im Schilde führten. Ich nestelte in meiner Hosentasche nach meinem Handy und rief sofort Huber an. Wenn es jemanden gibt, der Nachrichten welcher Art auch immer garantiert noch vor mir gehört hatte, dann war das er. Jedoch war dieser nicht zu erreichen. Kein Wunder, dachte ich mir folgerichtig, vermutlich hat er sich mit seiner Familie schon in irgendeinem safe room verkrochen. Aufgewühlt erhob ich meinen Blick gen Himmel. War womöglich schon irgendwo ein UFO zu entdecken? Verflixt, musste sowas denn ausgerechnet zu meinen Lebzeiten passieren? "Es hilft ja alles nichts", dachte ich mir seufzend, schnappte mir einen (kleinen) Einkaufswagen und betrat den Supermarkt. Es war dort alles wie immer. Die übliche Anzahl an Leute schoben seelenruhig und nichtsahnend ihre Wägen vor sich her, der ein der andere Mitarbeiter füllte mit dem bekannten Nullcheckerblick die Regale auf. War denn ich der Einzige, der wusste, was sich hier in Kürze abspielen würde? Nicht zu fassen. Ich lachte beinahe in mich hinein. Am Wurstregal beobachtete ich eine Frau, die mit dümmlichem Gesichtsausdruck mit ihrem Mann debattierte, welche Streichwurst denn die bessere Wahl sei. "Ihr Narren" kam es mir unvermittelt in den Sinn und zog weiter, denn der Appetit war mir gänzlich vergangen. Ich hatte völlig vergessen, weshalb ich überhaupt hier war. Was genau ist mir daheim nochmal ausgegangen? Milch? Küchenrolle? Klopapier? Kein Plan!!! Gedankenlos kippte ich eine halbe Palette Froop - Joghurt im Angebot in meinen ansonsten gähnend leeren Einkaufswagen. Später würde ich nach Oberteisendorf zu meiner Freundin Melli fahren. Wie um alles in der Welt sollte ich ihr beibringen, dass uns mit großer Wahrscheinlichkeit eine Invasion feindlicher Geschöpfe bevorstand, so ängstlich wie sie ohnehin war? Mein lieber Herr Gesangsverein.

In meiner Apathie aufpassend, nicht mit anderen Leuten zu kollidieren näherte ich mich der Kasse 3, die völlig frei von anderen Kunden war. Noch ehe ich meine handvoll Sachen abgeladen hatte, hörte ich die Durchsage, dass Kasse 3 nun schließen würde und keine Einkäufe mehr auf das Band gelegt werden dürften. "Ja", dachte ich mir in stummer Verzweiflung, "Kasse 1 schließt auch bald, und zwar für immer..."
Als ich den Laden verließ dankte ich beinahe dem wolkenverhangenen Himmel, der mir den Blick auf schlimmeres Ungemach darüber verbarg. Um ein Haar ließ ich vor Schreck meine spärlich gefüllte Einkaufstüte fallen, als wie aus dem Nichts die Haslacher Feuerwehr - Sirene ertönte. Tja, da musste man wohl nur noch 1 und 1 zusammenzählen...
Wieder im Auto war es etwa 14:05 Uhr, als ich augenblicklich das Radio anmachte um mich über die Nachrichten zu informieren, was es jetzt zu tun galt. Ich war offensichtlich etwas zu spät dran, denn nach dem Sport ging es weiter mit dem Wetter. Nicht einmal jetzt gab es einen vernünftigen Programmchef, der einmal auf den Tisch haute um die Prioritäten einzuordnen, dachte ich mir wütend, als ich wenige Momente später schon in die Tiefgarage einfuhr. Kaum betrat ich im Anschluss die Wohnung fuhr ich meinen PC hoch und räumte die verbeulten Froops in den Kühlschrank, als ich schon vor dem Computer saß und Bild - online aufrief. Man mag der Bild vieles vorwerfen aber sie sind gemeinhin die ersten, die an Informationen gelangen. Gab es schon erste Opfer? Wo würden sie zuerst zuschlagen? Doch nichts! Absolut keine Information!
Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Weiter zu Spiegel - online! Auch hier: Rein, gar nichts!
Mit etwas Mühe und einer Mischung aus Sorgenfalten und wachsendem Mangel an Vertrauen in meine Zurechnungsfähigkeit friemelte ich mich auf der Bayern 2 homepage zu dem eben gehörten Beitrag durch und stellte fest, dass es sich dabei um eine fiktive Geschichte gehandelt hatte. Ich hatte in meiner nicht einmal fünf Minuten dauernden Fahrt genau die viel zu kurze Passage gehört, bei der diese entscheidende Information nicht erwähnt wurde. Halleluja. Was fiel mir da für ein Stein vom Herzen. Glücklicherweise hatte ich die anderen Kunden nicht damit belästigt. Man hätte mich wohl kurzerhand - völlig zurecht - für vollkommen verrückt erklärt. Ebenso musste ich Melli nun nicht über die nahende Apokalypse unterrichten...puh! Ich schnappte mir mein Handy und textete Huber, dass ich soeben ganz klassisch ge"Orson Welles"d wurde. Unter meinen Freunden war er der Einzige, so dachte ich, der die Geistesgegenwart aufbrächte, hier entsprechend zu reagieren und er enttäuschte mich nicht. "Wer hat angegriffen"? lautete seine Antwort bzw. Frage. Ich musste schmunzeln. Ich war sprichwörtlich mit dem Schrecken davon gekommen.
Allerdings musste ich am Montag noch einmal zum Lidl. Mit den paar Froops würde ich nicht über die Woche kommen.

Sonntag, Juni 07, 2020

Feuchte Bestrafung

Mit dem Karma ist es so eine Sache. Jeder weiß, dass man es besser nicht herausfordern sollte. Und manchmal, wenn man am Wenigsten damit rechnet, schlägt die Gerechtigkeit zu, gezielt, unerbittlich und rücksichtlos. Schaut man aber genau hin, hätte man die einzelnen Fäden doch eigentlich erkennen können, naja, zumindest wenn man über gottgleiche Weitsicht verfügt hätte. Doch der Reihe nach. Begeben wir uns zurück ins Jahr 2003, einen kalten, ausgesprochen regnerischen Herbsttag im Oktober.
Es hatte wohl schon den ganzen Tag geregnet. Ich saß mit meinen 22 Jahren im Keller, meinem damaligen Kinderzimmer meines Elternhauses. Im Gegensatz zu ein paar Jahren davor, als ich mein winziges Zimmer im ersten Stock bewohnte, hatte ich hier ordentlich Platz. Zwar war es oft ungemütlich kühl, vor allem im Winter, aber ansonsten war ich sehr froh, nach unten gezogen zu sein. Das eingangs erwähnte Karma hatte allerdings im Sommer des vorangegangenen Jahres bereits einmal gezeigt, wer das Sagen hat. In den 18 Jahren, die wir insgesamt nun in der Auenstraße lebten (aus Sicht von 2002) gab es Gott weiß einige Unwetter und Wochen mit anhaltendem Dauerregen. Während ich in der Schule immer wieder von Berichten hörte, dass diverse Keller meiner Mitschüler unter Wasser gestanden hatten und die Feuerwehr zum Auspumpen kommen musste, kannte ich derartige Erlebnisse nicht aus eigener Hand. Egal wie viel Niederschlag auf unser Haus herabprasselte, egal wie sehr die wilde Traun wenige Meter neben uns wild und bösartig schäumte, ich konnte mich nicht erinnern, je in einem unserer Kellerräume auch nur einen leisen Tropfen Grundwasser erspäht zu haben. Als ich im Dezember 2001 dann meine sieben Sachen zwei Stockwerke nach unten transportierte, hatte ich entsprechend wenig Angst, dass sich daran etwas ändern sollte. Dann kam der August 2002 und das, was häufig als das Jahrhunderthochwasser bezeichnet wird. Der Südosten Bayerns gehörte zu den mit am stärksten betroffenen Gebieten und nun war es auch endlich in unserem - nun meinem - Keller soweit. Die ganze Familie inklusive Nachbarn pumpten und schleppten Wasser vom Keller nach oben, was das Zeug hielt. Um meine Videospielesammlung mehr besorgt als um meine Gesundheit, rettete ich alles nach oben in mein altes Zimmer, das ein oder andere Möbelstück, der Laminat-Boden und so manches Andere hatte weniger Glück. Trotzdem ging alles einigermaßen glimpflich zu Ende. Das Wasser kam nie über Knöchelhöhe und auch die Traun stieg, das war wohl das größte Glück, um ein Haar nicht über die Ufer. Trotzdem war es nun geschehen. Eine leistungsgstärkere Pumpe wurde besorgt, Opa betonierte das Kellerfenster aus, damit es aufsteigendes Grundwasser schwerer hatte in Zukunft, vor allem aber wusste ein Jeder ab sofort: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Denn schon ein Jahr später sorgte lediglich ein (allerdings unbeschreiblich starker) Gewitterschauer dafür, dass von meinem Kellerfenster aus erneut das Wasser geradezu in mein Kellerzimmer spritzend sich ergoss. Meine Mutter konnte, ich war abwesend, durch beherztes Eingreifen dafür sorgen, dass keine meiner Wertgegenstände zu Schaden kamen.

Wenige Monate später saß ich also an diesem Tag mit Dauerregen in meinem Kellerzimmer und beschloss nach einem Telefonat mit Huber, am Abend ins Kino nach Salzburg zu fahren. Superheldenfilme gab es schon lange vor dem MCU - die Liga der außergewöhnlichen Gentleman, und wie sich später heraussstellen sollte, Sean Connerys letzter Leinwandauftritt, sollte es werden. Wie üblich holte mich Huber mit seinem weißen BMW so gegen 18:30 Uhr ab. Auch in Salzbug am Airport Center war das Wetter scheußlich, als wir eine gute halbe Stunde später ankamen. Seit einiger Zeit parkten wir nicht mehr unten in der Tiefgarage, sondern suchten uns immer einen kostenfreien Parkplatz im Freien. Da das Gelände sehr weitläufig war, fand sich eigentlich immer irgendwo ein freier Platz, heute an diesem scheußlichen Regentag jedoch aus irgendeinem Grund nicht. Nach mehrmaligem Umrunden der Gebäude machte ich Huber den Vorschlag, doch auf dem fast vollständig leeren Parkplatz beim "Hofer" (österreichischer Aldi) zu parken. Huber hatte dabei ein etwas ungutes Gefühl, ich überredete ihn aber selbstbewusst dazu, weil ich mir vollkommen sicher war, dass entweder wir beide selbst oder ich mit jemand anderem vor nicht allzu langer Zeit dort auch problemlos geparkt hatten. Huber willigte schlussendlich ein und wir gingen den nicht ganz kurzen Weg im strömenden Regen Richtung Kino. Der Film stellte sich als schlechterdings mittelmäßig heraus und nachdem uns vor dem Kino neuerdings der unerbittliche Regen begrüßte, stapften wir missmutig los zurück zum Hofer um schleunigst nach Hause zu kommen, doch damit fing der schlimmste Teil des Abends erst an.

Wie man sich anhand der vorherigen Zeilen vielleicht schon ausmalen kann, war die Rückkehr auf den Parkplatz nicht gerade ein besonders schöner Moment, denn, wie bereits  vermutet, war das Auto verschwunden. Nach einem bestenfalls kurzen Zweifel war sehr schnell klar: Der Wagen wurde abgeschleppt. Ein zugehöriges Warnschild war anschließend auch rasch gefunden. Hubers Enttäuschung war ebenso groß wie es mir peinlich war. Wie konnte das denn sein? Drecks Ösis, verfluchte!
Ein Anruf beim hiesigen Abschleppdienst brachte recht schnell die bittere Erkenntnis, dass sich das Auto gut und gerne 15 km landeinwärts auf irgend einem Stellplatz für "solche Fälle" befand. Wir riefen uns ein Taxi und ließen uns (mit immer miserablerer Stimmung beim Blick auf den Zählerstand) zum Abstellplatz fahren. Schuldbewusst übernahm ich die rund 70 Euro Taxigebühr, ahnte aber schon, was nun folgen würde. Das Auto war da, Huber wies sich aus, bekam die Rechnung fürs Abschleppen in die Hand gedruckt und wir konnten endlich nach Hause fahren. Ich glaube es waren ungefähr 180 Euro (in meiner Erinnerung), die der Scherz kostete. Nach einem Jahr Schule war ich auch gerade ziemlich knapp bei Kasse und hüllte mich bei der Heimfahrt bezüglich der Kosten in Schweigen, während ich mir es indessen innerlich schön redete, dass die Taxifahrt immerhin auch schon ganz schön teuer war....
Ich glaube, dass wir kaum miteinander redeten. Huber ließ mich daheim aussteigen und, besonnen und zurückhaltend wie er in diesen Dingen nunmal ist, erwähnte die Sache dann auch nicht wieder, war aber sicher enttäuscht, dass von meiner Seite her kein Angebot für die Kostenteilung kam, denn der Vorschlag, dort zu parken, kam wie erwähnt, zweifelsfrei von mir. Beschämt zog ich mich in mein Zimmer zurück - der Regen fiel noch immer in großen Mengen vom schwarzen Nachthimmel - und dachte mir, naja wenn der Tag schon eh mehr als kacke war, dann holst du dir eben vorm Bettgehen wenigstens noch einen runter. Wenn man nicht alleine wohnt, gehen mit dieser Zeremonie in der Regel gewisse Vorsichtsmaßnahmen einher, wie man weiß. Ich persönlich war nie ein großer Fan des Zimmerabsperrens, denn gleichwohl dann niemand überraschend hereinplatzen kann wird gleichermaßen doch recht deutlich, was hier "gespielt" wird, darüber hinaus hatte ich in dieser Zeit praktisch nie Damenbesuch, weshalb auch dies als Ausrede nicht gezogen hätte. Ich lehnte also wie sonst auch die Tür an, um Laute von der Treppe im Ernstfall wahrzunehmen und außerdem würde der Spaß nach wenigen Minuten ohnehin vorbei sein. Zu dieser Zeit hatten wir zuhause, man mag es kaum glauben, noch kein Internet, daher setzte ich mich an meinen PC, Hübscheis alten Rechner, auf den er mir dankenswerterweise ein paar Gigabyte mit Pornografie diversen Inhalts hinterlassen hatte. Meine lila Jogginghose hatte ich bis unter das Gesäß gezogen, mit der rechten Hand bediente ich neben dem Offensichtlichen zusätzlich noch die Maus zur schnelleren Navigation und links unter dem Bildschirm lag das Tempo-Taschentuch für das krönende Finale. So weit, so Routine. Und so war ich also nichtsahnend mitten bei der Sache, als das Unsagbare geschah...

Ich hörte in meinem Rücken die Türe aufgehen...

Der menschliche Körper ist in adrenalingefüllten Stresssituationen zu so manchem fähig wie es heißt. Und noch war das Spiel auch nicht verloren, denn es gab noch den Vorteil eines günstigen Winkels. Direkt von der Tür aus war mein Platz nicht einzusehen. Ich hatte also noch etwa eine Sekunde, das wusste ich, doch leider hatte ich die Rechnung ohne meine eigene Dummheit gemacht. Es galt, in dieser Zeit drei entscheidende Dinge zu tun:

1. Die Hose hochzuziehen.
2. Das Video auszuschalten (und damit den Ton gleich mit)
3. Das Taschentuch zu entfernen.

Es stellte sich heraus, dass die heruntergezogene Hose der entscheidende Fehler war. Hätte ich "ihn", nun ja, nur aus der Jogginghose herausge"ploppt", wäre das Ganze mit einer blitzschnellen Handbewegung zu erledigen gewesen, nun galt es, die ganze Hose auf Oberschenkelhöhe, wieder nach oben zu bewegen. Zwar gelang mir dies mehr schlecht als recht, jedoch fiel mir in der kalten Panik das Taschentuch zu Boden und ehe ich es ergreifen konnte war das Zeitfenster zu und die schamlose Blondine flimmerte mit weit gespreizten Beinen ungeniert weiter auf dem Bildschirm. Scheinbar unbeeindruckt von diesem erbärmlichen Schauspiel steuerte meine Mutter mit stoisch nach vorne gerichtetem Blick auf das kleine Kellerfenster zu, blickte kurz nach draußen, ehe sie befand, dass heute wohl nicht mit einer weiteren Überschwemmung des Kellers zu rechnen sei. Atemlos saß ich im Bürostuhl, entfernte in der leisen Hoffnung, dass ich doch irgendwie schnell genug war die letzten Beweise und wartete, bis meine Mutter sich umdrehte und das Zimmer wortlos wieder verließ. Dazu kam es jedoch leider nicht, denn kurz vor dem Verlassen ließ sie sich dann doch noch zu der entlarvenden Frage: "na, gnockade Weiba oschaun, oda wos?" hinreißen. Glücklicherweise ging sie dann doch, ohne eine Antwort abzuwarten.
Es war eine unruhige, traumreiche Nacht, die auf mich warten sollte. Der Weg hinauf an den morgendlichen Frühstückstisch würde einem Gang aufs Schafott gleichkommen, soviel war sicher.

Und irgendwo, irgendwann in einem anderen Universum ging mit lautem Knall ein hölzerner Hammer darnieder. Justizia hatte gesprochen.

Dienstag, März 10, 2020

Die Teufelswelle

Wie schön ist doch das Leben eines jungen Menschen. Schön und vor allem sorglos und unbeschwert. Wenn es dann noch Sommer wird, die sich in der Lehre befindlichen Hübscheis und Moas und der in den gymnasialen Sommerferien dem Müßiggang fröhnenden Schoof alle zusammen sowieso nichts Besseres zu tun haben, dann wird beim Moa im Garten beim Genuss des ersten Bieres bei schon am Vormittag schweißtreibenden Temparaturen unter größten körperlichen Anstrengungen abwechselnd die Luftpumpe bedient, denn das Ziel des Tages ist sonnenklar. Der Sommer 2000 soll sogleich der Auftakt sein für ein wunderbares Jahrhundert und wir drei, schließlich immer noch Teenager und somit frei wie der Wind, wollen heute auf Hübscheis (mittlerweile aufgepumpter) Luftmatratzen-Insel mit formschöner Palme in der Mitte die Traun bis zum Seiboldsdorfer Wehr hinunterfahren. Nun ja, die Palme hat nicht allzu viel von ihrer Formschönheit, denn leider bietet die schwimmende Insel nur schwerlich Platz für uns drei, wenngleich kaum beleibte, junge Männer, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass auch noch ein halbes Dutzend Bierflaschen zumindest einen Teil der Reise unbeschadet überstehen sollen. So lassen wir uns also gegenüber von meinem Heim zu Wasser, Schoof links, ich rechterhand und Hübschei in der Mitte, die arme Palme unbarmherzig abknickend, wovon sie sich auch später, wie sich herausstellen wird, nicht mehr erholt.
Wie bereits erwähnt ist es ein herrlicher Tag, die Sonne strahlt von oben, das seitlich und von vorne hereinschwappende Wasser sorgt für die stete Kühlung, das Bier schmeckt gut und "rubbeldiekatz" sind wir schon auf Höhe des Schwimmbades angelangt, da hier die schmale (zu dem Zeitpukt noch "weiße") Traun noch recht schnell geht, bevor sie sich in wenigen Hundert Metern mit der aus Inzell kommenden roten Traun an einem unserer optischen Höhepunkte, der "Spitzau", vereint und erst einmal bedeutend ruhiger ihren weiteren Weg fortsetzt. Als nächstes passieren wir die Brücke zum Schwimmbad-/Pendlerparkplatz. Schoof und ich sind bester Laune und bemerken doch, das etwas nicht stimmt, aber was nur? Es ist Hübschei. Nicht nur ist er innerhalb der letzten Minute plötzlich mucksmäuschenstill geworden, auch ist ihm merklich die Farbe aus dem Gesicht gewichen. Es wird schnell klar: Der Mann hat Angst! Und bevor wir die Frage nach dem "Warum" auch nur zu stellen wagen, kommt es ihm mit dünner Stimme über die bebenden Lippen:

"die T..Teu...fels..welle..."

Man hat von "ihr" gehört, ganz klar. Wir alle sind Kinder dieses Ortes und ich, der ich direkt an der Traun groß geworden bin, kenne den Fluss oder besser gesagt, das Flüsschen, wie meine eigene Westentasche. Und ja, es mag diese eine Stelle, kurz vor dem Zusammenfluss geben, die ein wenig wilder scheint als der Rest und ja, es scheint als sei das Wasser hier ein wenig tiefer, ja vielleicht gar mannshoch aber sollte man sich tatsächlich vor einer Überfahrt mit unser bisher nur spärlich als seetauglich erwiesenen Insel fürchten? Plötzlich sind wir uns gar nicht mehr so sicher. Hübscheis wenige Worte lassen einen mythenumrankten Ort, ja das Bermudadreieck Siegsdorfs, vermuten. Ihm steht sichtbar der kalte Angstschweiß auf der Stirn, als wir uns der Teufelswelle nähern, die zwar (noch) nicht sicht- aber schon deutlich hörbar ist. Ein wenig driftet unser Kahn schon Richtung rechts, meiner Seite, mehrmals muss ich mich mit dem Fuß vom Rand abstoßen, um keinen Schaden an der fragilen Haut unserer Insel zu riskieren. Plötzlich befindet "sie" sich (wohl) unmittelbar vor uns. Hübschei ist nun mit den Nerven am Ende. Er bedeutet uns, dass wir es ja gerne riskieren können, aber er, von Geburt an mit einem Mangel an Lebensmüdigkeit gesegnet, steigt hier und jetzt aus diesem Himmelfahrtskommando aus. Gesagt getan. Aus gerade noch sicherer Entfernung stößt er sich nach hinten von der Insel ab, krault wie ein junger Fisch der Böschung entgegen, erreicht mit letzter Kraft das rettende Ufer und überlässt Schoof und mich dem Schicksal...
...wir beiden hingegen kriegen davon nur wenig mit, denn nun ist es soweit, die Teufelswelle liegt nur noch wenige Meter vor uns, wir müssen uns ihr stellen, denn für eine Flucht ist es nun zu spät. Gemurmelte Stoßgebete werden gen Himmel entsandt, dann ist es soweit, und....

....es passiert das kaum noch für mögliche gehaltene. Nichts.

Ein kaum merkliches Schunkeln, das selbst eine Wasserwaage kaum aus ihrem Tiefschlaf gerissen hätte. Schoof und ich tauschen Blicke und prusten (und prosten) los. Was für eine Lachnummer. Wenige Augenblicke später stößt Hübschei an der Spitzau wieder zu uns. Es ist zum Schreien. Für den Rest der vielleicht noch 25minütigen Fahrt sieht sich Hübschei unentwegt beißenden Spott ausgesetzt. Er wird damit fertig werden. 

Letzten Endes wird es das beste sein, das uns passieren konnte. Noch Jahre später, auch heute noch, bleibt diese kleine Anekdote unvergessen. Hätte sich Hübschei nicht aus dem Staub gemacht, die Fahrt auf unserer wunderbar blöden Insel mit der zerquetschten Palme wäre längst vergessen. Doch das und die fehlende Intimpflege einer einen weißen Bikini tragenden 14jährigen am Seiboldsdorfer Wehr sollten aus diesem Tag einen wohl für immer erinnerungsträchtigen machen. Letzteres ist jedoch eine andere Geschichte.

Dienstag, Oktober 08, 2019

Das Finale

Jeder kennt sie. Diese schlimmen Tage, die einem ewig im Gedächtnis bleiben. Tage, an denen sich das Unglück von Monaten oder gar Jahren geballt zu sammeln scheint und einen nachgerade niederstreckt, so dass man, sofern man denn möchte, noch nachfolgenden Generationen davon erzählen kann. Oft sind dies natürlich ganz persönliche Unglücke, manch ein solches kann ein anderer womöglich gar nicht nachvollziehen und glücklicherweise tauchen solche Tage in den Leben der meisten Menschen nicht sehr häufig auf. Ich möchte heute von einem dieser Tage in meinem Leben erzählen. Dabei war es noch dazu eine Sache von wenigen Minuten und der Tag hätte mich damals beinahe unendlich glücklich gemacht, stattdessen wähnte ich mich nur kurze Zeit später am Rande des schlimmstvorstellbaren Abgrunds. Doch der Reihe nach...
Wir schreiben den 26. Mai des Jahres 1999 und bevor jemand auf die Idee kommt zu googlen, ja es ist der Tag des legendären Champions-League - Finales zwischen Manchester United und dem FC Bayern München in Barcelona. Möglicherweise rümpft der ein oder andere nun schon verächtlich die Nase, doch es kommt anders als viele nun zu denken glauben, garantiert!
Das Jahr 1999 war in meinem Leben etwas ganz Besonderes. Im Februar wurde ich 18 Jahre alt, kurz danach machte ich meinen Führerschein, die Anzahl meiner Freunde innerhalb unserer Siegsdorfer Clique war, auch dank des noch recht neuen Jugendtreffs, nahezu unüberschaubar und der Beginn des neuen Milleniums (ja, es begann eigentlich erst 2001, ich weiß...) warf in Form der lauter werdenden "Y2K - Panik" bereits seine Schatten voraus. Es war für mich die intensivste Zeit des Heranwachsens, des Herauswachsens aus der Kindheit mit allem Guten und Schlechten was eben dazu gehört. Einer meiner Kumpels aus der bereits erwähnten Clique war Ivan Bernhard (für korrekte Schreibweisen übernehme ich keine Haftung), Vorname Bernhard, von allen aber "Ivan" genannt. Dieser lud an besagtem 26. Mai seine an Fußball interessierten Freunde zu sich nach Hause, in den Siegsdorfer Ortsteil "Paulfischer"(unglaublich, aber so heißen bei uns Orte) ein. An dieser Stelle muss ich sagen, dass jede übertriebene Ausführung der Umstände und Details über Geschehnisse rund um Personen und um das Spiel selbst frei erfunden wären. Was am Ende des Spiels und im Anschluss daran geschah überstrahlte alles, was davor schon oder nicht stattgefunden hat. Wir springen also direkt in Minute 90...

Bayern war früh in der ersten Halbzeit durch einen Freistoßtreffer von Mario Basler 1:0 in Führung gegangen und konnte diesen Vorsprung bis zum Ende der regulären 90 Minuten verteidigen. Ich glaube mich zu erinnern, dass das Spiel insgesamt recht ausgeglichen war und sich beide Mannschaften Chancen auf ein (weiteres) Tor erspielen konnten. Meine Nerven waren entsprechend zum Zerreißen gespannt. Zwei Jahre zuvor konnte der Erzfeind in der Bundesliga, Borussia Dortmund, bereits den europäischen Fußballthron besteigen. Alleine deshalb sehnte ich mich unbeschreiblich danach, dass der FC Bayern es ihnen nun gleichtat. Die Genugtuung wäre so bitter nötig gewesen, da Leute wie der Stärz Patrick, vulgo "Stärzei", keine Gelegenheit ausließen, uns Bayernfans, und insbesondere mich, mit Häme zu übergießen.
Ich musste nur noch den Schlusspfiff abwarten und diese Leidenszeit würde endlich ein Ende haben. Ich, und ich glaube auch noch ein paar andere, hatten mittlerweile vor dem Fernseher kniend eine Gebetshaltung eingenommen. Die 90 Minuten waren gerade vorüber, als Manchester eine Ecke bekam. Eine vermaledeite Ecke mehr oder weniger, dachte ich, was macht das schon? Über Umwege und eine missglückte Rettungsaktion von Thorsten Fink gelangte der Ball schließlich auf den Fuß von Teddy Sheringham und in Oli Kahns Tor.....das durfte doch einfach nicht wahr sein. Wir waren so kurz davor, meine Nerven waren doch eh schon am Ende, wie sollte ich jetzt noch eine Verlängerung überstehen? Wenn zu allem Überfluss dieses Dreckschwein von Stärzei nicht auch noch so saudumm lachen würde. Bis ich mich wieder halbwegs gefasst hatte war bereits die 92. Minute beendet, das Spiel war wieder angepfiffen worden und United hatte sich verflucht nochmal die nächste Ecke herausgeholt. Es war Ole Gunnar Solskjaer, der nach Verlängerung von Sheringham den Fuß hinhielt und den Ball unter die Latte nagelte. Dann wurde es dunkel in meinem Kopf. Das Spiel war verloren, verloren....verloren. Wie konnte das nur passieren? Diese Ungerechtigkeit, diese unbeschreibliche Ungerechtigkeit...
Ich weiß von diesen Minuten nicht mehr viel. Stille unter den zahlreichen Bayern-Fans. Vergrub ich mein Gesicht am Boden unter meinen Händen? Weinte ich? Ich sah auf jeden Fall noch Stärzei, wie er wie ein Derwisch herumtanzte, lachte und mit diebischer Freude mit dem Finger auf mich zeigte.
Es dauerte nicht allzu lange, und meine Enttäuschung und Trauer wandelte sich in eine solch unbändige Wut, dass ich sie kaum mehr in Zaum halten konnte. So kam es mir gerade recht, dass ich draußen im Garten beim Schiffen Stärzeis beschissenes "Diskus" - Fahrrad vor mir hatte und ich mit einer gewissen Genugtuung mit meinen Strahl auf seinen Sattel zielte. Aber so als wäre mir an diesem verhexten Tag nicht einmal diese Kleinigkeit vergönnt, stand natürlich ausgerechnet jetzt Ivans Oma (um diese Uhrzeit?!?) in Sichtweite und tadelte mich lauthals, was ich denn nicht für ein "Saubär" sei.
Auf jeden Fall wusste ich eins genau. Ich wollte hier weg und so schnell es geht nach Hause. Nach einem kurzen wortlosen Handgruß in die Runde suchte ich mir mein Fahrrad und radelte los. Dass exakt zeitgleich auch Stärzei auf diese Idee kam und wir gemeinsam losfuhren nahm ich emotionslos zur Kenntnis, nicht einmal der Moment als sich sein Hintern auf den Sattel setzte konnte ein Mindestmaß an Freude erzeugen (ok, vielleicht ein, zwei Prozent). Die ersten paar Hundert Meter ging es geradewegs bergab in Richtung Wernleiten, dort angekommen bogen wir wortlos nach links ab um über den GM (Großmarkt, heute Edeka) - Parkplatz noch ein paar Meter abzukürzen. Und jetzt ging es erst richtig los...

Es ging alles recht schnell, doch beim Vorbeifahren am Eingangstor vom GM sahen wir, dass unmittelbar davor ein roter PKW mit Stufenheck geparkt hatte und sich zwei Männer am Tor zu schaffen machten. Wir fuhren mit unserer normalen, relativ hohen Geschwindigkeit vorbei, sahen uns kurz an und hatten wenige Augenblicke später den Parkplatz schon wieder passiert. An dessen Ende befand sich eine große Werbewand. Wenn überhaupt benötigte es nur weniger Worte bevor wir uns einig wurden, uns hinter dieser zu verstecken, um aus sicherer Entfernung das Treiben dieser beiden offensichtlichen Diebe, Einbrecher, in jedem Falle Kriminellen zu beobachten. Geschätzt lagen, bei nächtlicher Dunkelheit, ca. 100 Meter zwischen uns und ihnen. Doch ehe wir überhaupt großartig etwas erkennen konnten begann der Spaß schon. Die beiden Männer stürzten vom Eingangstor weg in ihr rotes Auto, das Licht ging an, blendete bereits in unsere Richtung und sie fuhren los.
Nun hieß es zu handeln! Wir schwangen und so schnell es ging auf unsere Fahrräder und traten in die Pedale. Nach wenigen Metern gabelte sich der Weg und wir standen vor der Wahl: Runter Richtung Schwimmbad oder hoch und geradewegs über den Kindergarten ins Dorf? Aus späterer Sicht wäre nach jederlei menschlichem Ermessen der Weg in Richtung Schwimmbad der klügere Weg für eine Flucht gewesen, schon alleine, weil uns innerhalb kürzester Zeit kein Auto mehr hätte folgen können und anschließend die möglichen Fluchtwege derart zahlreich gewesen wären, dass uns unter Garantie niemand mehr hätte erwischen können. Klug wie ich war, und zu dem Zeitpunkt befand ich mich in der führenden Radposition, entschied ich mich für den Weg ins Dorf. Bevor, so wie ich es mir gedacht habe, wir im Dorf in Sicherheit gewesen wären, galt es, einige nicht ganz zu vernachlässigende Steigungen und die Unterführung der Autobahnbrücke zu überwinden. Spätestens dort, so dachte ich, müsste der Wagen die Verfolgung abbrechen, da es PKWs verboten war, hier entlang zu fahren...Ja, ich war leider ein dummes, naives Kind.
Während des Passierens der etwa 50 Meter langen Unterführung, unsere Verfolger waren in ihrem Auto gerade noch nicht in Sichtweite, geschah etwas, das ich mir bis heute nicht erklären kann. Man muss dazu sagen, dass sich weder Stärzei noch ich innerhalb unseres Freundes- und Bekanntenkreises durch eine besonders herausragende Körperkraft hervorgetan hätten, von einer besonderen Kraft in den Beinen, und hier kann ich natürlich besonders von mir selbst sprechen, ganz zu schweigen. Und wäre das nicht schon schlimm genug, hatten wir beide Fahrräder, die sich vermutlich ziemlich am unteren Ende der Qualitätsspanne wiederfanden. Ich saß auf einem Pegasus - Mountainbike, das so schwer war, dass es sich beim Bergauffahren anfühlte, als sei es aus gehärtetem Stahl gefertigt und über Stärzeis uraltes Drei-Ganz Diskus - Rad gab es vermutlich auch nicht viel Positives zu sagen. Dies änderte aber nichts an der Tatsache, dass Stärzei urplötzlich, vermutlich von purer Angst getrieben, so stark in die Eisen stieg, dass er mich nicht nur überholte, nein er schoss in einem derartigen Affenzahn an mir vorbei und den anschließenden kurzen Berg hoch, dass ich ihn nur wenige Momente später aus den Augen verlor. Vermutlich war erschon kurz vor dem Kindergarten, als ich gerade einmal mit meinen Drahtesel aus der Unterführung kam. Für mich war es indes ohnehin schon zu spät. Während ich noch darüber staunte, wie mein Kumpel plötzlich in Besitz übermenschlicher Kräfte gekommen war, hatten mich die beiden Tunichtgute eingeholt. Ein Blick nach hinten genügte und ich wusste, ich hatte keine Chance mehr zu entkommen. Mein so großartiger Plan war nicht aufgegangen. Der Fahrer des (vermutlich gestohlenen ) Autos hatte das Durchfahrverbot missachtet..
Als ich merkte, dass ich keinen Ausweg mehr hatte und das Auto mittlerweile schon neben mir war, blieb mir nur noch eines. Ich stürzte von meinem Rad, sprang linkerhand in die Böschung, hielt mir die Hände vor Gesicht und Augen und schrie immer wieder, dass ich nichts gesehen hätte. Dies entsprach auch der Wahrheit. Es war dunkel und in dem kurzen Moment als wir am Eingang vorbei fuhren, an dem die beiden werkelten, hatte ich kein Gesicht vernünftig wahrgenommen. Die beiden waren mittlerweile ausgestiegen. Wenn sie es mir doch nur glauben würden, sie könnten einfach weiterfahren, sie müssten mich weder verprügeln, foltern, kidnappen, einsperren, oder am Ende gar...

...fragen wer ich bin? Lasst mich doch in Ruhe, dachte ich, die Augen noch immer in die Hände vergraben und auf dem Boden kauernd. Fahrt doch einfach weiter, bitteeeeheee!!!!
KRIMINALPOLIZEI TRAUNSTEIN...(wie bitte, macht ihr euch auch noch über mich lustig?). Zum ersten mal wagte ich einen scheuen Blick in die Richtung der beiden. "Kriminalpolizei Traunstein" wiederholte einer der beiden seine Aussage. Eine unheimlich Erleichterung umfasste mich mit einem mal und doch war ich noch immer nicht überzeugt. Es passte für mich nicht recht zusammen. Ich hörte mich selber nach einem Dienstausweis fragen, der mir auch augenblicklich vor die Nase gehalten wurde. Offenbar war mein ganzes vorherige Verhalten Grund genug für die beiden anzunehmen, dass ich weder verdächtig noch schuldig bin. Ich klärte mit wenigen Sätzen und Fragen das Geschehen auf. Offenbar wurde die Polizei gerufen, weil irgend jemand gesehen hatte, dass jemand versucht hatte, beim GM einzubrechen. Die beiden Polizisten kamen - im Zivilfahrzeug wohlgemerkt - herbeigerauscht und untersuchten die Szenerie just in dem Moment, als Stärzei und ich mit unseren Fahrrädern ebenfalls vorbei fuhren und diese merkwürdigen Gestalten wie bereits beschrieben bei Ihrem Tun gesehen hatten....und so schloss sich schließlich der Kreis und dieser schreckliche Abend fand endlich sein wohlverdientes Ende...
...doch halt. Ganz so schnell ging es dann doch noch nicht vorbei. Während ich in Anbetracht meiner tiefen Erleichterung noch nonchalant den hilfsbereiten Vorzeige-Bürger mimte, um von meinem doch etwas peinlichen Verhalten von zuvor abzulenken, wurde einer der beiden an den Funk im Auto gerufen. Ich war zwar in der Nähe, konnte aber nicht hören, was durchgegeben wurde, nur dass der Polizist im Auto so etwas wie: "Ok, wir kommen gleich hin", antwortete.
Da meine "Befragung" ohnehin sowohl beendet war als auch keine hilfreichen Erkenntnisse aufbot verabschiedete man sich, die Polizisten stiegen in ihren Wagen, ich auf mein Fahrrad und man fuhr los in Richtung Dorf, genau auf dem Weg den ich bei meinem erfolglosen Fluchtversuch nicht erreichen konnte. Das Auto fuhr voraus, allerdings in einer geringen Geschwindigkeit, so dass ich wenig Mühe hatte, mich ihnen an die Fersen zu heften. Beim Pfarrer-Berg dann fuhren sie einen kleinen Vorsprung heraus, so dass ich die nachfolgende Szene aus einer gewissen - kleiner werdenden - Entfernung beobachten konnte.
Das Auto blieb plötzlich unvermittelt auf Höhe der Telefonzelle bei der Post stehen. Daraufhin öffnete sich die Tür zur Telefonzelle, der Stärzei spurtete heraus und setzte sich augenblicklich in das Auto. Es war kaum zu glauben. Er hatte die Polizei verständigt, ob um Sorge wegen meines Wohlbefindens oder wegen des vermuteten Einbruchs beim GM sei hier dahingestellt, die Person am anderen Ende der Leitung sagte daraufhin, er solle an Ort und Stelle warten, sie schicke gleich einen Wagen vorbei, dem er Bericht erstatten solle. Dieser Wagen kam, jedoch nahm Stärzei in keiner Sekunde wahr, dass es sich dabei um genau jenes Auto handelte, vor dem er wenige Minuten zuvor noch in wilder Panik geflüchtet war. Kurz nachdem er auf der Rückbank Platz genommen hatte, hatte ich sie eingeholt, hielt an, öffnete meinerseits eine der hinteren Türen und gebot Stärzei, er könne aussteigen, da ich wohlauf sei. Vermutlich war es das erste mal seit geraumer Zeit an diesem Abend, an dem mir ein Lächeln über die Lippen kam. Verdutzt stieg er wieder aus, die Polizisten verabschiedeten sich und zogen von dannen, während ich ihm die Verrücktheit dieser ganzen Geschichte noch einmal im Detail erzählte. Wenige Augenblicke später trennten sich unsere Wege, ich konnte endlich heim und diesen Tag im Schlaf verarbeiten. Meinem Freund Stärzei war ich noch immer sauer für sein Verhalten nach dem Spiel und gleichzeitig in tiefem Dank verbunden für die Geste nach unser Flucht vor den vermeintlichen Gaunern.

Epilog:
Elf Jahre später, am 22. Mai 2010, der FC Bayern stand erneut in einem Finale der UEFA Champions League, dieses mal gegen Inter Mailand. Auch dieses Endspiel ging aus Sicht der Bayern verloren, wenngleich weit weniger dramatisch als jenes, von dem hier bereits erzählt wurde. Mittlerweile auch schon wieder neun Jahre zuvor, durften die Bayern den Henkelpokal dann ja auch endlich in die Höhe stemmen und auch wenn in der Zwischenzeit auch dieser Triumph schon wieder langsam aber sicher verblasste, war die erneute Niederlage zwar natürlich nicht schön, aber mit dem Schmerz von 1999 nicht zu vergleichen. Ich schaute das Spiel unter anderem mit Andi Raba beim Wochinger im Biergarten. Nach dem Spiel bemerkte ich, dass sich unter den wie man sich vorstellen kann zahlreichen Gästen an einem anderen Tisch auch der Stärzei befand. Stärzei, der seit geraumer Zeit schon nicht mehr in Siegsdorf wohnte und mit dem ich auch seit Längerem nicht mehr allzu viel Zeit verbrachte, bat mich und die anderen zu sich an den Tisch und wir ließen dann auch, ohne erkennbare Verbitterung über die Niederlage meinerseits und ebenso ohne erkennbare Häme seinerseits den Abend bei mehreren Bieren ausklingen. Später an dem Abend fiel mir dann auch unser gemeinsames Erlebnis aus dem Mai 1999 ein und ich erzählte die Story am Tisch mit allen mir zur Verfügung stehenden Details und sich anbietenden Überdramatisierungen.
Stärzei konnte sich nicht erinnern...

Dienstag, Oktober 02, 2018

Zirkus Roberto

Ich war ein hagerer junger Mann. Also "junger" junger Mann, im Alter von ungefähr neun oder zehn Jahren. Ich bin es irgendwo auch heute mit 37 noch, aber damals erst recht. Einen Bauch konnte ich nicht einziehen, da ich keinen hatte und die Radlhose flatterte mir am Oberschenkel wie ein Mini-Rock an einer Frau. Wenn ich etwas nicht war, dann einer mit dem man sich besser nicht anlegt.
Glücklicherweise gab es jemanden unter meinen Freunden, der genau das von sich behaupten konnte: Bruce Bolz. Gut beinander, schulterlanges schwarzes Haar, schon mal eine blutige Nase; kurzerhand ein Kraftpaket. Mit ihm an meiner Seite, und an dieser war er aufgrund seines Nachbardaseins häufig, gab es nie einen Grund sich vor irgendetwas zu fürchten.
Wenn es überhaupt einmal Ärger gab, dann bekam sowieso er ihn ab. Wenn jemand auf die Fresse flog, weil er den Plastikball vom Garagendach holen wollte oder beim örtlichen Metzger einen gewaschenen Anschiss bekam, weil deren Keller beinahe in Brand gesteckt wurde dann war er das. Bei Unangenehmem im Hintergrund, beim Coolsein stolzer Trittbrettfahrer. Das ging lange gut, bis eines Tages in den frühen 90ern der "Zirkus Roberto" am Schwimmbadparkplatz in Siegsdorf Halt machte.
Da innerorts der ein oder andere Aushang angebracht war und wir uns ohnehin ständig im oder rund um das Schwimmbad aufhielten dauerte es nicht lange, bis wir das bunte Zelt und die ganzen Wägen und Ställe drumherum bemerkten. Neugierig wie wir waren schleichten wir uns möglichst nahe an das Spektakel heran. Sagen muss man schon, dass es sich beim "Zirkus Roberto" zweifellos um einen kleineren solchen handelte. Dies war sogar meinem Kinderauge bewusst, das ansonsten ganz wunderbar in der Lage war, meinem Kinderhirn zu sagen, dass es sich bei sehr gewöhnlichen Dingen um außerordentlich tolle Ereignisse, Häuser, Filme, Schwimmbecken usw. handeln müsse.
Zu den vermutlich nicht besonders zahlreichen Artisten, Dompteuren, Feuerschluckern und dergleichen mehr zählten auch eine kleine Schar von Kindern, mehrheitlich etwa in unserem Alter mit denen wir uns nach zarter Annäherung schließlich kurzerhand anfreundeten. Darunter waren ein Mädchen mit langen Haaren, ein wenn ich mich nicht täusche etwas kleinerer Junge und ein kräftiger schwarzhaariger Bub, den ich von der körperlichen Statur her etwa in Bruces Maße einkategorisieren würde. Darüber hinaus gab es noch einen weiteren Jungen, der aber immer etwas Abseits stand und irgendwie seltsam wirkte.
Am zweiten oder dritten Tag nach dem Kennenlernen fuhren Bruce und ich erneut an einem Vormittag (vermutlich waren ab Nachmittag die Vorstellungen) die wenigen 100 Meter von uns zuhause zum Schwimmbad um mit den Kindern zu spielen. Unglücklicherweise konnten wir keines der Kinder von der Ferne ausfindig machen und warteten mit etwas Abstand, ob sich denn eines irgendwann zeigen möge. Den einzigen aber, den wir sahen war der etwas seltsame ältere Junge und plötzlich wurde mir auch schlagartig klar, warum ich ihn für seltsam hielt: Ich hatte soeben die erste bewusste Begegnung mit einem Behinderten. Der Junge hatte offensichtlich mindestens einen lahmen Fuß und bewegte sich dementsprechend ungelenk. Darüber hinaus hatte er einen Schokoriegel (in meiner verqueren Erinnerung ein Mars-Riegel, auch wenn es rein gar nichts zur Sache tut) in einer Hand, an dem er sich gütlich tat. Das Schlimme daran war, dass er dabei, man kann es sich denken, keine allzu graziöse Figur abgab. Vielmehr entlockte der Anblick Bruce nicht nur ein herzhaftes Lachen sondern veranlasste ihn zu allem Überfluss auch noch, die, nun ja, ziemlich krampfartigen Bewegungen seines den Schokoriegel kauenden Gesichtes des Jungen zu imitieren. Auch ich fand es, und allen voran Bruces Witzchen dazu, ausgesprochen komisch.
Was wir buchstäblich allerdings nicht im Auge hatten war, dass sich zwischenzeitlich die anderen Kinder aus ihren Unterkünften begaben und gesehen hatten, wie wir beide uns auf Kosten des armen Jungen (vermutlich auch Bruder, Cousin und was sonst noch alles) aufs Köstlichste amüsierten.
An dieser Stelle muss ich einen kurzen Cut machen, denn es gibt im Folgenden zwei Versionen, wie diese Geschichte endet, die tatsächliche, sowie die filmische, ich beginne mit letzterer:

Version 1:
Wir wussten gar nicht wie uns geschah. Eh wir uns versahen stürmte die Kinderschar mit Schaum um den Mund auf uns zu. Mein Schreck war umso größer als ich zum allerersten mal so etwas wie Panik im Gesicht von Bruce wahrnahm. Glücklicherweise hatten wir unsere Fahrräder unweit unseres Obervationsortes geparkt. Sogleich schwangen wir uns auf die Drahtesel und ergriffen schleunigst die Flucht vor dem drohenden Ungemach. Der komische Junge spuckte (den halb zerkauten Riegel) aus und die wilde Verfolgungsjagd begann. Eiligen Trittes überquerten wir die erste Traunbrücke zum Schwimmbad hin, da surrte auch schon das erste Messer an uns vorbei und blieb zitternd in der hölzernen Mauer des Schwimmbads stecken. Für uns Grund genug, noch stärker in die Pedale zu treten um weiter das Heil in der Flucht zu suchen. Wir konnten von Glück reden, dass die Akrobaten-Kinder auf ihren Einrädern unser Tempo nicht ganz mitzugehen in der Lage waren. Dennoch konnten wir sie nicht vollends abschütteln. Der kleine Junge jonglierte währenddessen behände eine handvoll Wurfmesser, übergab diese geschickt werfend dem langhaarigen Mädchen und dem Muskelprotz und Augenblicke später pfiffen uns diese wieder um die Ohren. Ob es Glück oder geschicktes Ausweichen war, dass diese uns stets verfehlten vermag ich nicht mehr zu sagen. In Todesangst erreichten wir die Kuppe und konnten geradeso noch das Bahngleis überqueren eher der Traunsteiner Zug wütend pfeiffend uns Gott sei's gedankt von dem mordlustigen Trio trennte und wir um eine abenteuerliche Erfahrung reicher vom Zirkus Roberto samt seiner eigenartiger Kinder verabschiedeten und uns darin einig waren, für nächste Zeit harmloseren Beschäftigungen nachzugehen, beispielsweise dem Ärgern der Seissiger-Kinder. Den Ärger hatte später sowieso der Bruce.

Version 2:
Denkt man sich die ein oder andere Übertreibung an gegebener Stelle weg ist die Realität gar nicht so  schrecklich weit von der "Version 1" entfernt. Selbstversändlich verfolgten uns die Kinder weder auf Einrädern, noch standen wir Gefahr, von fliegenden Wurfgeschossen durchsiebt zu werden und zu guter Letzt stand auch der Lokführer der Bahnstrecke Traunstein - Ruhpolding nicht kurz vor einem Herzinfarkt denn tatsächlich ließen die Kinder freiwillig von der weiteren Verfolgung ab, als wir das Bahngleis auf der kleinen Anhöhe überquerten. Verfolgt wurden wir tatsächlich, allerdings auf normalen Fahrrädern und der größte Schreckmoment war als der kleine Schwarzenegger uns kurz vor dem Ende der Verfolgungsjagd einholte und gegen meine Speichen trat. In meiner Erinnerung löste sich daraufhin ein Reflektorlicht am Hinterrad. Ob das aber wirklich stimmte weiß ich nicht mehr.

Wahr ist allerdings schon, dass ich Bruce zuvor und auch später nicht mehr so angsterfüllt erlebt hatte. Vielleicht war unsere schnelle Flucht tatsächlich die beste Entscheidung unseres damals noch jungen Lebens.