Samstag, Dezember 12, 2020

Alien Invasion

Ich habe nie viel für Spotify und dergleichen Zeugs übrig gehabt. Wenn mir Leute Spotify - links auf Whatsapp schicken winke ich innerlich ab. Es macht vermutlich keinen Sinn, jemanden, der solche links verschickt zu erklären, dass es Menschen wie mich gibt, die die app noch nicht einmal runtergeladen haben, von einem Premium account ganz zu schweigen. Dabei halte ich mich eigentlich für einen, der zumindest was Populärmusik angeht, einiges auf dem Kasten hat. Selbst von meiner Schwester Hirn, die selbst ein Sontext - Master sondersgleichen ist erreicht mich gelegentlich ein Anruf mit der Frage, was dieses oder jenes doch gleich für ein Lied gewesen ist. Nicht selten habe ich, wenn nicht eine Antwort, zumindest einen entscheidenden Hinweis parat. Beim Autofahren jedoch, bevorzuge ich seit vielen Jahren nun, ob für kurze oder lange Strecken, mittlerweile Bayern 2, einen Bildungsradiosender mit immer wieder hochinteressanten Sendungen zu allen erdenklichen Themen.

Und so lief dieser auch den halben Kilometer von meiner Wohnung zum Lidl - Discounter, als ich mich im Frühjahr des Jahres 2016 aufmachte, meine Samstagseinkäufe zu erledigen. Es war etwa 13:45 Uhr und es ging dieses mal um ein astronomisches Thema. Um möglicherweise flüssiges Wasser auf einem der Jupitermonde und dergleichen mehr. "Nettes Thema, immer wieder gerne gehört", dachte ich mir, gerade die Haslacher Kirche passierend. Als ich mich nur wenige Augenblicke später schon auf Höhe meines Zielortes befand erfuhr ich, dass es sich hierbei um eine Sondersendung handelte, die deshalb gesendet wurde, da kurz zuvor unbekannte Flugobjekte in der Erdatmosphäre entdeckt wurden...

WIE BITTE?!?

Hatte ich das eben richtig gehört? Zum Teufel noch eins, jetzt war es so weit. Wenn mir der jahrelange Konsum unter anderem von Filmen wie Indepence Day oder Krieg der Welten eines gelehrt hatten dann, dass Außerirdische, die sich offenbar in größerer Menge im Orbit der Erde aufhielten, mit Sicherheit nichts Gutes im Schilde führten. Ich nestelte in meiner Hosentasche nach meinem Handy und rief sofort Huber an. Wenn es jemanden gibt, der Nachrichten welcher Art auch immer garantiert noch vor mir gehört hatte, dann war das er. Jedoch war dieser nicht zu erreichen. Kein Wunder, dachte ich mir folgerichtig, vermutlich hat er sich mit seiner Familie schon in irgendeinem safe room verkrochen. Aufgewühlt erhob ich meinen Blick gen Himmel. War womöglich schon irgendwo ein UFO zu entdecken? Verflixt, musste sowas denn ausgerechnet zu meinen Lebzeiten passieren? "Es hilft ja alles nichts", dachte ich mir seufzend, schnappte mir einen (kleinen) Einkaufswagen und betrat den Supermarkt. Es war dort alles wie immer. Die übliche Anzahl an Leute schoben seelenruhig und nichtsahnend ihre Wägen vor sich her, der ein der andere Mitarbeiter füllte mit dem bekannten Nullcheckerblick die Regale auf. War denn ich der Einzige, der wusste, was sich hier in Kürze abspielen würde? Nicht zu fassen. Ich lachte beinahe in mich hinein. Am Wurstregal beobachtete ich eine Frau, die mit dümmlichem Gesichtsausdruck mit ihrem Mann debattierte, welche Streichwurst denn die bessere Wahl sei. "Ihr Narren" kam es mir unvermittelt in den Sinn und zog weiter, denn der Appetit war mir gänzlich vergangen. Ich hatte völlig vergessen, weshalb ich überhaupt hier war. Was genau ist mir daheim nochmal ausgegangen? Milch? Küchenrolle? Klopapier? Kein Plan!!! Gedankenlos kippte ich eine halbe Palette Froop - Joghurt im Angebot in meinen ansonsten gähnend leeren Einkaufswagen. Später würde ich nach Oberteisendorf zu meiner Freundin Melli fahren. Wie um alles in der Welt sollte ich ihr beibringen, dass uns mit großer Wahrscheinlichkeit eine Invasion feindlicher Geschöpfe bevorstand, so ängstlich wie sie ohnehin war? Mein lieber Herr Gesangsverein.

In meiner Apathie aufpassend, nicht mit anderen Leuten zu kollidieren näherte ich mich der Kasse 3, die völlig frei von anderen Kunden war. Noch ehe ich meine handvoll Sachen abgeladen hatte, hörte ich die Durchsage, dass Kasse 3 nun schließen würde und keine Einkäufe mehr auf das Band gelegt werden dürften. "Ja", dachte ich mir in stummer Verzweiflung, "Kasse 1 schließt auch bald, und zwar für immer..."
Als ich den Laden verließ dankte ich beinahe dem wolkenverhangenen Himmel, der mir den Blick auf schlimmeres Ungemach darüber verbarg. Um ein Haar ließ ich vor Schreck meine spärlich gefüllte Einkaufstüte fallen, als wie aus dem Nichts die Haslacher Feuerwehr - Sirene ertönte. Tja, da musste man wohl nur noch 1 und 1 zusammenzählen...
Wieder im Auto war es etwa 14:05 Uhr, als ich augenblicklich das Radio anmachte um mich über die Nachrichten zu informieren, was es jetzt zu tun galt. Ich war offensichtlich etwas zu spät dran, denn nach dem Sport ging es weiter mit dem Wetter. Nicht einmal jetzt gab es einen vernünftigen Programmchef, der einmal auf den Tisch haute um die Prioritäten einzuordnen, dachte ich mir wütend, als ich wenige Momente später schon in die Tiefgarage einfuhr. Kaum betrat ich im Anschluss die Wohnung fuhr ich meinen PC hoch und räumte die verbeulten Froops in den Kühlschrank, als ich schon vor dem Computer saß und Bild - online aufrief. Man mag der Bild vieles vorwerfen aber sie sind gemeinhin die ersten, die an Informationen gelangen. Gab es schon erste Opfer? Wo würden sie zuerst zuschlagen? Doch nichts! Absolut keine Information!
Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Weiter zu Spiegel - online! Auch hier: Rein, gar nichts!
Mit etwas Mühe und einer Mischung aus Sorgenfalten und wachsendem Mangel an Vertrauen in meine Zurechnungsfähigkeit friemelte ich mich auf der Bayern 2 homepage zu dem eben gehörten Beitrag durch und stellte fest, dass es sich dabei um eine fiktive Geschichte gehandelt hatte. Ich hatte in meiner nicht einmal fünf Minuten dauernden Fahrt genau die viel zu kurze Passage gehört, bei der diese entscheidende Information nicht erwähnt wurde. Halleluja. Was fiel mir da für ein Stein vom Herzen. Glücklicherweise hatte ich die anderen Kunden nicht damit belästigt. Man hätte mich wohl kurzerhand - völlig zurecht - für vollkommen verrückt erklärt. Ebenso musste ich Melli nun nicht über die nahende Apokalypse unterrichten...puh! Ich schnappte mir mein Handy und textete Huber, dass ich soeben ganz klassisch ge"Orson Welles"d wurde. Unter meinen Freunden war er der Einzige, so dachte ich, der die Geistesgegenwart aufbrächte, hier entsprechend zu reagieren und er enttäuschte mich nicht. "Wer hat angegriffen"? lautete seine Antwort bzw. Frage. Ich musste schmunzeln. Ich war sprichwörtlich mit dem Schrecken davon gekommen.
Allerdings musste ich am Montag noch einmal zum Lidl. Mit den paar Froops würde ich nicht über die Woche kommen.

Sonntag, Juni 07, 2020

Feuchte Bestrafung

Mit dem Karma ist es so eine Sache. Jeder weiß, dass man es besser nicht herausfordern sollte. Und manchmal, wenn man am Wenigsten damit rechnet, schlägt die Gerechtigkeit zu, gezielt, unerbittlich und rücksichtlos. Schaut man aber genau hin, hätte man die einzelnen Fäden doch eigentlich erkennen können, naja, zumindest wenn man über gottgleiche Weitsicht verfügt hätte. Doch der Reihe nach. Begeben wir uns zurück ins Jahr 2003, einen kalten, ausgesprochen regnerischen Herbsttag im Oktober.
Es hatte wohl schon den ganzen Tag geregnet. Ich saß mit meinen 22 Jahren im Keller, meinem damaligen Kinderzimmer meines Elternhauses. Im Gegensatz zu ein paar Jahren davor, als ich mein winziges Zimmer im ersten Stock bewohnte, hatte ich hier ordentlich Platz. Zwar war es oft ungemütlich kühl, vor allem im Winter, aber ansonsten war ich sehr froh, nach unten gezogen zu sein. Das eingangs erwähnte Karma hatte allerdings im Sommer des vorangegangenen Jahres bereits einmal gezeigt, wer das Sagen hat. In den 18 Jahren, die wir insgesamt nun in der Auenstraße lebten (aus Sicht von 2002) gab es Gott weiß einige Unwetter und Wochen mit anhaltendem Dauerregen. Während ich in der Schule immer wieder von Berichten hörte, dass diverse Keller meiner Mitschüler unter Wasser gestanden hatten und die Feuerwehr zum Auspumpen kommen musste, kannte ich derartige Erlebnisse nicht aus eigener Hand. Egal wie viel Niederschlag auf unser Haus herabprasselte, egal wie sehr die wilde Traun wenige Meter neben uns wild und bösartig schäumte, ich konnte mich nicht erinnern, je in einem unserer Kellerräume auch nur einen leisen Tropfen Grundwasser erspäht zu haben. Als ich im Dezember 2001 dann meine sieben Sachen zwei Stockwerke nach unten transportierte, hatte ich entsprechend wenig Angst, dass sich daran etwas ändern sollte. Dann kam der August 2002 und das, was häufig als das Jahrhunderthochwasser bezeichnet wird. Der Südosten Bayerns gehörte zu den mit am stärksten betroffenen Gebieten und nun war es auch endlich in unserem - nun meinem - Keller soweit. Die ganze Familie inklusive Nachbarn pumpten und schleppten Wasser vom Keller nach oben, was das Zeug hielt. Um meine Videospielesammlung mehr besorgt als um meine Gesundheit, rettete ich alles nach oben in mein altes Zimmer, das ein oder andere Möbelstück, der Laminat-Boden und so manches Andere hatte weniger Glück. Trotzdem ging alles einigermaßen glimpflich zu Ende. Das Wasser kam nie über Knöchelhöhe und auch die Traun stieg, das war wohl das größte Glück, um ein Haar nicht über die Ufer. Trotzdem war es nun geschehen. Eine leistungsgstärkere Pumpe wurde besorgt, Opa betonierte das Kellerfenster aus, damit es aufsteigendes Grundwasser schwerer hatte in Zukunft, vor allem aber wusste ein Jeder ab sofort: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Denn schon ein Jahr später sorgte lediglich ein (allerdings unbeschreiblich starker) Gewitterschauer dafür, dass von meinem Kellerfenster aus erneut das Wasser geradezu in mein Kellerzimmer spritzend sich ergoss. Meine Mutter konnte, ich war abwesend, durch beherztes Eingreifen dafür sorgen, dass keine meiner Wertgegenstände zu Schaden kamen.

Wenige Monate später saß ich also an diesem Tag mit Dauerregen in meinem Kellerzimmer und beschloss nach einem Telefonat mit Huber, am Abend ins Kino nach Salzburg zu fahren. Superheldenfilme gab es schon lange vor dem MCU - die Liga der außergewöhnlichen Gentleman, und wie sich später heraussstellen sollte, Sean Connerys letzter Leinwandauftritt, sollte es werden. Wie üblich holte mich Huber mit seinem weißen BMW so gegen 18:30 Uhr ab. Auch in Salzbug am Airport Center war das Wetter scheußlich, als wir eine gute halbe Stunde später ankamen. Seit einiger Zeit parkten wir nicht mehr unten in der Tiefgarage, sondern suchten uns immer einen kostenfreien Parkplatz im Freien. Da das Gelände sehr weitläufig war, fand sich eigentlich immer irgendwo ein freier Platz, heute an diesem scheußlichen Regentag jedoch aus irgendeinem Grund nicht. Nach mehrmaligem Umrunden der Gebäude machte ich Huber den Vorschlag, doch auf dem fast vollständig leeren Parkplatz beim "Hofer" (österreichischer Aldi) zu parken. Huber hatte dabei ein etwas ungutes Gefühl, ich überredete ihn aber selbstbewusst dazu, weil ich mir vollkommen sicher war, dass entweder wir beide selbst oder ich mit jemand anderem vor nicht allzu langer Zeit dort auch problemlos geparkt hatten. Huber willigte schlussendlich ein und wir gingen den nicht ganz kurzen Weg im strömenden Regen Richtung Kino. Der Film stellte sich als schlechterdings mittelmäßig heraus und nachdem uns vor dem Kino neuerdings der unerbittliche Regen begrüßte, stapften wir missmutig los zurück zum Hofer um schleunigst nach Hause zu kommen, doch damit fing der schlimmste Teil des Abends erst an.

Wie man sich anhand der vorherigen Zeilen vielleicht schon ausmalen kann, war die Rückkehr auf den Parkplatz nicht gerade ein besonders schöner Moment, denn, wie bereits  vermutet, war das Auto verschwunden. Nach einem bestenfalls kurzen Zweifel war sehr schnell klar: Der Wagen wurde abgeschleppt. Ein zugehöriges Warnschild war anschließend auch rasch gefunden. Hubers Enttäuschung war ebenso groß wie es mir peinlich war. Wie konnte das denn sein? Drecks Ösis, verfluchte!
Ein Anruf beim hiesigen Abschleppdienst brachte recht schnell die bittere Erkenntnis, dass sich das Auto gut und gerne 15 km landeinwärts auf irgend einem Stellplatz für "solche Fälle" befand. Wir riefen uns ein Taxi und ließen uns (mit immer miserablerer Stimmung beim Blick auf den Zählerstand) zum Abstellplatz fahren. Schuldbewusst übernahm ich die rund 70 Euro Taxigebühr, ahnte aber schon, was nun folgen würde. Das Auto war da, Huber wies sich aus, bekam die Rechnung fürs Abschleppen in die Hand gedruckt und wir konnten endlich nach Hause fahren. Ich glaube es waren ungefähr 180 Euro (in meiner Erinnerung), die der Scherz kostete. Nach einem Jahr Schule war ich auch gerade ziemlich knapp bei Kasse und hüllte mich bei der Heimfahrt bezüglich der Kosten in Schweigen, während ich mir es indessen innerlich schön redete, dass die Taxifahrt immerhin auch schon ganz schön teuer war....
Ich glaube, dass wir kaum miteinander redeten. Huber ließ mich daheim aussteigen und, besonnen und zurückhaltend wie er in diesen Dingen nunmal ist, erwähnte die Sache dann auch nicht wieder, war aber sicher enttäuscht, dass von meiner Seite her kein Angebot für die Kostenteilung kam, denn der Vorschlag, dort zu parken, kam wie erwähnt, zweifelsfrei von mir. Beschämt zog ich mich in mein Zimmer zurück - der Regen fiel noch immer in großen Mengen vom schwarzen Nachthimmel - und dachte mir, naja wenn der Tag schon eh mehr als kacke war, dann holst du dir eben vorm Bettgehen wenigstens noch einen runter. Wenn man nicht alleine wohnt, gehen mit dieser Zeremonie in der Regel gewisse Vorsichtsmaßnahmen einher, wie man weiß. Ich persönlich war nie ein großer Fan des Zimmerabsperrens, denn gleichwohl dann niemand überraschend hereinplatzen kann wird gleichermaßen doch recht deutlich, was hier "gespielt" wird, darüber hinaus hatte ich in dieser Zeit praktisch nie Damenbesuch, weshalb auch dies als Ausrede nicht gezogen hätte. Ich lehnte also wie sonst auch die Tür an, um Laute von der Treppe im Ernstfall wahrzunehmen und außerdem würde der Spaß nach wenigen Minuten ohnehin vorbei sein. Zu dieser Zeit hatten wir zuhause, man mag es kaum glauben, noch kein Internet, daher setzte ich mich an meinen PC, Hübscheis alten Rechner, auf den er mir dankenswerterweise ein paar Gigabyte mit Pornografie diversen Inhalts hinterlassen hatte. Meine lila Jogginghose hatte ich bis unter das Gesäß gezogen, mit der rechten Hand bediente ich neben dem Offensichtlichen zusätzlich noch die Maus zur schnelleren Navigation und links unter dem Bildschirm lag das Tempo-Taschentuch für das krönende Finale. So weit, so Routine. Und so war ich also nichtsahnend mitten bei der Sache, als das Unsagbare geschah...

Ich hörte in meinem Rücken die Türe aufgehen...

Der menschliche Körper ist in adrenalingefüllten Stresssituationen zu so manchem fähig wie es heißt. Und noch war das Spiel auch nicht verloren, denn es gab noch den Vorteil eines günstigen Winkels. Direkt von der Tür aus war mein Platz nicht einzusehen. Ich hatte also noch etwa eine Sekunde, das wusste ich, doch leider hatte ich die Rechnung ohne meine eigene Dummheit gemacht. Es galt, in dieser Zeit drei entscheidende Dinge zu tun:

1. Die Hose hochzuziehen.
2. Das Video auszuschalten (und damit den Ton gleich mit)
3. Das Taschentuch zu entfernen.

Es stellte sich heraus, dass die heruntergezogene Hose der entscheidende Fehler war. Hätte ich "ihn", nun ja, nur aus der Jogginghose herausge"ploppt", wäre das Ganze mit einer blitzschnellen Handbewegung zu erledigen gewesen, nun galt es, die ganze Hose auf Oberschenkelhöhe, wieder nach oben zu bewegen. Zwar gelang mir dies mehr schlecht als recht, jedoch fiel mir in der kalten Panik das Taschentuch zu Boden und ehe ich es ergreifen konnte war das Zeitfenster zu und die schamlose Blondine flimmerte mit weit gespreizten Beinen ungeniert weiter auf dem Bildschirm. Scheinbar unbeeindruckt von diesem erbärmlichen Schauspiel steuerte meine Mutter mit stoisch nach vorne gerichtetem Blick auf das kleine Kellerfenster zu, blickte kurz nach draußen, ehe sie befand, dass heute wohl nicht mit einer weiteren Überschwemmung des Kellers zu rechnen sei. Atemlos saß ich im Bürostuhl, entfernte in der leisen Hoffnung, dass ich doch irgendwie schnell genug war die letzten Beweise und wartete, bis meine Mutter sich umdrehte und das Zimmer wortlos wieder verließ. Dazu kam es jedoch leider nicht, denn kurz vor dem Verlassen ließ sie sich dann doch noch zu der entlarvenden Frage: "na, gnockade Weiba oschaun, oda wos?" hinreißen. Glücklicherweise ging sie dann doch, ohne eine Antwort abzuwarten.
Es war eine unruhige, traumreiche Nacht, die auf mich warten sollte. Der Weg hinauf an den morgendlichen Frühstückstisch würde einem Gang aufs Schafott gleichkommen, soviel war sicher.

Und irgendwo, irgendwann in einem anderen Universum ging mit lautem Knall ein hölzerner Hammer darnieder. Justizia hatte gesprochen.

Dienstag, März 10, 2020

Die Teufelswelle

Wie schön ist doch das Leben eines jungen Menschen. Schön und vor allem sorglos und unbeschwert. Wenn es dann noch Sommer wird, die sich in der Lehre befindlichen Hübscheis und Moas und der in den gymnasialen Sommerferien dem Müßiggang fröhnenden Schoof alle zusammen sowieso nichts Besseres zu tun haben, dann wird beim Moa im Garten beim Genuss des ersten Bieres bei schon am Vormittag schweißtreibenden Temparaturen unter größten körperlichen Anstrengungen abwechselnd die Luftpumpe bedient, denn das Ziel des Tages ist sonnenklar. Der Sommer 2000 soll sogleich der Auftakt sein für ein wunderbares Jahrhundert und wir drei, schließlich immer noch Teenager und somit frei wie der Wind, wollen heute auf Hübscheis (mittlerweile aufgepumpter) Luftmatratzen-Insel mit formschöner Palme in der Mitte die Traun bis zum Seiboldsdorfer Wehr hinunterfahren. Nun ja, die Palme hat nicht allzu viel von ihrer Formschönheit, denn leider bietet die schwimmende Insel nur schwerlich Platz für uns drei, wenngleich kaum beleibte, junge Männer, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass auch noch ein halbes Dutzend Bierflaschen zumindest einen Teil der Reise unbeschadet überstehen sollen. So lassen wir uns also gegenüber von meinem Heim zu Wasser, Schoof links, ich rechterhand und Hübschei in der Mitte, die arme Palme unbarmherzig abknickend, wovon sie sich auch später, wie sich herausstellen wird, nicht mehr erholt.
Wie bereits erwähnt ist es ein herrlicher Tag, die Sonne strahlt von oben, das seitlich und von vorne hereinschwappende Wasser sorgt für die stete Kühlung, das Bier schmeckt gut und "rubbeldiekatz" sind wir schon auf Höhe des Schwimmbades angelangt, da hier die schmale (zu dem Zeitpukt noch "weiße") Traun noch recht schnell geht, bevor sie sich in wenigen Hundert Metern mit der aus Inzell kommenden roten Traun an einem unserer optischen Höhepunkte, der "Spitzau", vereint und erst einmal bedeutend ruhiger ihren weiteren Weg fortsetzt. Als nächstes passieren wir die Brücke zum Schwimmbad-/Pendlerparkplatz. Schoof und ich sind bester Laune und bemerken doch, das etwas nicht stimmt, aber was nur? Es ist Hübschei. Nicht nur ist er innerhalb der letzten Minute plötzlich mucksmäuschenstill geworden, auch ist ihm merklich die Farbe aus dem Gesicht gewichen. Es wird schnell klar: Der Mann hat Angst! Und bevor wir die Frage nach dem "Warum" auch nur zu stellen wagen, kommt es ihm mit dünner Stimme über die bebenden Lippen:

"die T..Teu...fels..welle..."

Man hat von "ihr" gehört, ganz klar. Wir alle sind Kinder dieses Ortes und ich, der ich direkt an der Traun groß geworden bin, kenne den Fluss oder besser gesagt, das Flüsschen, wie meine eigene Westentasche. Und ja, es mag diese eine Stelle, kurz vor dem Zusammenfluss geben, die ein wenig wilder scheint als der Rest und ja, es scheint als sei das Wasser hier ein wenig tiefer, ja vielleicht gar mannshoch aber sollte man sich tatsächlich vor einer Überfahrt mit unser bisher nur spärlich als seetauglich erwiesenen Insel fürchten? Plötzlich sind wir uns gar nicht mehr so sicher. Hübscheis wenige Worte lassen einen mythenumrankten Ort, ja das Bermudadreieck Siegsdorfs, vermuten. Ihm steht sichtbar der kalte Angstschweiß auf der Stirn, als wir uns der Teufelswelle nähern, die zwar (noch) nicht sicht- aber schon deutlich hörbar ist. Ein wenig driftet unser Kahn schon Richtung rechts, meiner Seite, mehrmals muss ich mich mit dem Fuß vom Rand abstoßen, um keinen Schaden an der fragilen Haut unserer Insel zu riskieren. Plötzlich befindet "sie" sich (wohl) unmittelbar vor uns. Hübschei ist nun mit den Nerven am Ende. Er bedeutet uns, dass wir es ja gerne riskieren können, aber er, von Geburt an mit einem Mangel an Lebensmüdigkeit gesegnet, steigt hier und jetzt aus diesem Himmelfahrtskommando aus. Gesagt getan. Aus gerade noch sicherer Entfernung stößt er sich nach hinten von der Insel ab, krault wie ein junger Fisch der Böschung entgegen, erreicht mit letzter Kraft das rettende Ufer und überlässt Schoof und mich dem Schicksal...
...wir beiden hingegen kriegen davon nur wenig mit, denn nun ist es soweit, die Teufelswelle liegt nur noch wenige Meter vor uns, wir müssen uns ihr stellen, denn für eine Flucht ist es nun zu spät. Gemurmelte Stoßgebete werden gen Himmel entsandt, dann ist es soweit, und....

....es passiert das kaum noch für mögliche gehaltene. Nichts.

Ein kaum merkliches Schunkeln, das selbst eine Wasserwaage kaum aus ihrem Tiefschlaf gerissen hätte. Schoof und ich tauschen Blicke und prusten (und prosten) los. Was für eine Lachnummer. Wenige Augenblicke später stößt Hübschei an der Spitzau wieder zu uns. Es ist zum Schreien. Für den Rest der vielleicht noch 25minütigen Fahrt sieht sich Hübschei unentwegt beißenden Spott ausgesetzt. Er wird damit fertig werden. 

Letzten Endes wird es das beste sein, das uns passieren konnte. Noch Jahre später, auch heute noch, bleibt diese kleine Anekdote unvergessen. Hätte sich Hübschei nicht aus dem Staub gemacht, die Fahrt auf unserer wunderbar blöden Insel mit der zerquetschten Palme wäre längst vergessen. Doch das und die fehlende Intimpflege einer einen weißen Bikini tragenden 14jährigen am Seiboldsdorfer Wehr sollten aus diesem Tag einen wohl für immer erinnerungsträchtigen machen. Letzteres ist jedoch eine andere Geschichte.