Sonntag, Juni 07, 2020

Feuchte Bestrafung

Mit dem Karma ist es so eine Sache. Jeder weiß, dass man es besser nicht herausfordern sollte. Und manchmal, wenn man am Wenigsten damit rechnet, schlägt die Gerechtigkeit zu, gezielt, unerbittlich und rücksichtlos. Schaut man aber genau hin, hätte man die einzelnen Fäden doch eigentlich erkennen können, naja, zumindest wenn man über gottgleiche Weitsicht verfügt hätte. Doch der Reihe nach. Begeben wir uns zurück ins Jahr 2003, einen kalten, ausgesprochen regnerischen Herbsttag im Oktober.
Es hatte wohl schon den ganzen Tag geregnet. Ich saß mit meinen 22 Jahren im Keller, meinem damaligen Kinderzimmer meines Elternhauses. Im Gegensatz zu ein paar Jahren davor, als ich mein winziges Zimmer im ersten Stock bewohnte, hatte ich hier ordentlich Platz. Zwar war es oft ungemütlich kühl, vor allem im Winter, aber ansonsten war ich sehr froh, nach unten gezogen zu sein. Das eingangs erwähnte Karma hatte allerdings im Sommer des vorangegangenen Jahres bereits einmal gezeigt, wer das Sagen hat. In den 18 Jahren, die wir insgesamt nun in der Auenstraße lebten (aus Sicht von 2002) gab es Gott weiß einige Unwetter und Wochen mit anhaltendem Dauerregen. Während ich in der Schule immer wieder von Berichten hörte, dass diverse Keller meiner Mitschüler unter Wasser gestanden hatten und die Feuerwehr zum Auspumpen kommen musste, kannte ich derartige Erlebnisse nicht aus eigener Hand. Egal wie viel Niederschlag auf unser Haus herabprasselte, egal wie sehr die wilde Traun wenige Meter neben uns wild und bösartig schäumte, ich konnte mich nicht erinnern, je in einem unserer Kellerräume auch nur einen leisen Tropfen Grundwasser erspäht zu haben. Als ich im Dezember 2001 dann meine sieben Sachen zwei Stockwerke nach unten transportierte, hatte ich entsprechend wenig Angst, dass sich daran etwas ändern sollte. Dann kam der August 2002 und das, was häufig als das Jahrhunderthochwasser bezeichnet wird. Der Südosten Bayerns gehörte zu den mit am stärksten betroffenen Gebieten und nun war es auch endlich in unserem - nun meinem - Keller soweit. Die ganze Familie inklusive Nachbarn pumpten und schleppten Wasser vom Keller nach oben, was das Zeug hielt. Um meine Videospielesammlung mehr besorgt als um meine Gesundheit, rettete ich alles nach oben in mein altes Zimmer, das ein oder andere Möbelstück, der Laminat-Boden und so manches Andere hatte weniger Glück. Trotzdem ging alles einigermaßen glimpflich zu Ende. Das Wasser kam nie über Knöchelhöhe und auch die Traun stieg, das war wohl das größte Glück, um ein Haar nicht über die Ufer. Trotzdem war es nun geschehen. Eine leistungsgstärkere Pumpe wurde besorgt, Opa betonierte das Kellerfenster aus, damit es aufsteigendes Grundwasser schwerer hatte in Zukunft, vor allem aber wusste ein Jeder ab sofort: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Denn schon ein Jahr später sorgte lediglich ein (allerdings unbeschreiblich starker) Gewitterschauer dafür, dass von meinem Kellerfenster aus erneut das Wasser geradezu in mein Kellerzimmer spritzend sich ergoss. Meine Mutter konnte, ich war abwesend, durch beherztes Eingreifen dafür sorgen, dass keine meiner Wertgegenstände zu Schaden kamen.

Wenige Monate später saß ich also an diesem Tag mit Dauerregen in meinem Kellerzimmer und beschloss nach einem Telefonat mit Huber, am Abend ins Kino nach Salzburg zu fahren. Superheldenfilme gab es schon lange vor dem MCU - die Liga der außergewöhnlichen Gentleman, und wie sich später heraussstellen sollte, Sean Connerys letzter Leinwandauftritt, sollte es werden. Wie üblich holte mich Huber mit seinem weißen BMW so gegen 18:30 Uhr ab. Auch in Salzbug am Airport Center war das Wetter scheußlich, als wir eine gute halbe Stunde später ankamen. Seit einiger Zeit parkten wir nicht mehr unten in der Tiefgarage, sondern suchten uns immer einen kostenfreien Parkplatz im Freien. Da das Gelände sehr weitläufig war, fand sich eigentlich immer irgendwo ein freier Platz, heute an diesem scheußlichen Regentag jedoch aus irgendeinem Grund nicht. Nach mehrmaligem Umrunden der Gebäude machte ich Huber den Vorschlag, doch auf dem fast vollständig leeren Parkplatz beim "Hofer" (österreichischer Aldi) zu parken. Huber hatte dabei ein etwas ungutes Gefühl, ich überredete ihn aber selbstbewusst dazu, weil ich mir vollkommen sicher war, dass entweder wir beide selbst oder ich mit jemand anderem vor nicht allzu langer Zeit dort auch problemlos geparkt hatten. Huber willigte schlussendlich ein und wir gingen den nicht ganz kurzen Weg im strömenden Regen Richtung Kino. Der Film stellte sich als schlechterdings mittelmäßig heraus und nachdem uns vor dem Kino neuerdings der unerbittliche Regen begrüßte, stapften wir missmutig los zurück zum Hofer um schleunigst nach Hause zu kommen, doch damit fing der schlimmste Teil des Abends erst an.

Wie man sich anhand der vorherigen Zeilen vielleicht schon ausmalen kann, war die Rückkehr auf den Parkplatz nicht gerade ein besonders schöner Moment, denn, wie bereits  vermutet, war das Auto verschwunden. Nach einem bestenfalls kurzen Zweifel war sehr schnell klar: Der Wagen wurde abgeschleppt. Ein zugehöriges Warnschild war anschließend auch rasch gefunden. Hubers Enttäuschung war ebenso groß wie es mir peinlich war. Wie konnte das denn sein? Drecks Ösis, verfluchte!
Ein Anruf beim hiesigen Abschleppdienst brachte recht schnell die bittere Erkenntnis, dass sich das Auto gut und gerne 15 km landeinwärts auf irgend einem Stellplatz für "solche Fälle" befand. Wir riefen uns ein Taxi und ließen uns (mit immer miserablerer Stimmung beim Blick auf den Zählerstand) zum Abstellplatz fahren. Schuldbewusst übernahm ich die rund 70 Euro Taxigebühr, ahnte aber schon, was nun folgen würde. Das Auto war da, Huber wies sich aus, bekam die Rechnung fürs Abschleppen in die Hand gedruckt und wir konnten endlich nach Hause fahren. Ich glaube es waren ungefähr 180 Euro (in meiner Erinnerung), die der Scherz kostete. Nach einem Jahr Schule war ich auch gerade ziemlich knapp bei Kasse und hüllte mich bei der Heimfahrt bezüglich der Kosten in Schweigen, während ich mir es indessen innerlich schön redete, dass die Taxifahrt immerhin auch schon ganz schön teuer war....
Ich glaube, dass wir kaum miteinander redeten. Huber ließ mich daheim aussteigen und, besonnen und zurückhaltend wie er in diesen Dingen nunmal ist, erwähnte die Sache dann auch nicht wieder, war aber sicher enttäuscht, dass von meiner Seite her kein Angebot für die Kostenteilung kam, denn der Vorschlag, dort zu parken, kam wie erwähnt, zweifelsfrei von mir. Beschämt zog ich mich in mein Zimmer zurück - der Regen fiel noch immer in großen Mengen vom schwarzen Nachthimmel - und dachte mir, naja wenn der Tag schon eh mehr als kacke war, dann holst du dir eben vorm Bettgehen wenigstens noch einen runter. Wenn man nicht alleine wohnt, gehen mit dieser Zeremonie in der Regel gewisse Vorsichtsmaßnahmen einher, wie man weiß. Ich persönlich war nie ein großer Fan des Zimmerabsperrens, denn gleichwohl dann niemand überraschend hereinplatzen kann wird gleichermaßen doch recht deutlich, was hier "gespielt" wird, darüber hinaus hatte ich in dieser Zeit praktisch nie Damenbesuch, weshalb auch dies als Ausrede nicht gezogen hätte. Ich lehnte also wie sonst auch die Tür an, um Laute von der Treppe im Ernstfall wahrzunehmen und außerdem würde der Spaß nach wenigen Minuten ohnehin vorbei sein. Zu dieser Zeit hatten wir zuhause, man mag es kaum glauben, noch kein Internet, daher setzte ich mich an meinen PC, Hübscheis alten Rechner, auf den er mir dankenswerterweise ein paar Gigabyte mit Pornografie diversen Inhalts hinterlassen hatte. Meine lila Jogginghose hatte ich bis unter das Gesäß gezogen, mit der rechten Hand bediente ich neben dem Offensichtlichen zusätzlich noch die Maus zur schnelleren Navigation und links unter dem Bildschirm lag das Tempo-Taschentuch für das krönende Finale. So weit, so Routine. Und so war ich also nichtsahnend mitten bei der Sache, als das Unsagbare geschah...

Ich hörte in meinem Rücken die Türe aufgehen...

Der menschliche Körper ist in adrenalingefüllten Stresssituationen zu so manchem fähig wie es heißt. Und noch war das Spiel auch nicht verloren, denn es gab noch den Vorteil eines günstigen Winkels. Direkt von der Tür aus war mein Platz nicht einzusehen. Ich hatte also noch etwa eine Sekunde, das wusste ich, doch leider hatte ich die Rechnung ohne meine eigene Dummheit gemacht. Es galt, in dieser Zeit drei entscheidende Dinge zu tun:

1. Die Hose hochzuziehen.
2. Das Video auszuschalten (und damit den Ton gleich mit)
3. Das Taschentuch zu entfernen.

Es stellte sich heraus, dass die heruntergezogene Hose der entscheidende Fehler war. Hätte ich "ihn", nun ja, nur aus der Jogginghose herausge"ploppt", wäre das Ganze mit einer blitzschnellen Handbewegung zu erledigen gewesen, nun galt es, die ganze Hose auf Oberschenkelhöhe, wieder nach oben zu bewegen. Zwar gelang mir dies mehr schlecht als recht, jedoch fiel mir in der kalten Panik das Taschentuch zu Boden und ehe ich es ergreifen konnte war das Zeitfenster zu und die schamlose Blondine flimmerte mit weit gespreizten Beinen ungeniert weiter auf dem Bildschirm. Scheinbar unbeeindruckt von diesem erbärmlichen Schauspiel steuerte meine Mutter mit stoisch nach vorne gerichtetem Blick auf das kleine Kellerfenster zu, blickte kurz nach draußen, ehe sie befand, dass heute wohl nicht mit einer weiteren Überschwemmung des Kellers zu rechnen sei. Atemlos saß ich im Bürostuhl, entfernte in der leisen Hoffnung, dass ich doch irgendwie schnell genug war die letzten Beweise und wartete, bis meine Mutter sich umdrehte und das Zimmer wortlos wieder verließ. Dazu kam es jedoch leider nicht, denn kurz vor dem Verlassen ließ sie sich dann doch noch zu der entlarvenden Frage: "na, gnockade Weiba oschaun, oda wos?" hinreißen. Glücklicherweise ging sie dann doch, ohne eine Antwort abzuwarten.
Es war eine unruhige, traumreiche Nacht, die auf mich warten sollte. Der Weg hinauf an den morgendlichen Frühstückstisch würde einem Gang aufs Schafott gleichkommen, soviel war sicher.

Und irgendwo, irgendwann in einem anderen Universum ging mit lautem Knall ein hölzerner Hammer darnieder. Justizia hatte gesprochen.