Dienstag, März 10, 2020

Die Teufelswelle

Wie schön ist doch das Leben eines jungen Menschen. Schön und vor allem sorglos und unbeschwert. Wenn es dann noch Sommer wird, die sich in der Lehre befindlichen Hübscheis und Moas und der in den gymnasialen Sommerferien dem Müßiggang fröhnenden Schoof alle zusammen sowieso nichts Besseres zu tun haben, dann wird beim Moa im Garten beim Genuss des ersten Bieres bei schon am Vormittag schweißtreibenden Temparaturen unter größten körperlichen Anstrengungen abwechselnd die Luftpumpe bedient, denn das Ziel des Tages ist sonnenklar. Der Sommer 2000 soll sogleich der Auftakt sein für ein wunderbares Jahrhundert und wir drei, schließlich immer noch Teenager und somit frei wie der Wind, wollen heute auf Hübscheis (mittlerweile aufgepumpter) Luftmatratzen-Insel mit formschöner Palme in der Mitte die Traun bis zum Seiboldsdorfer Wehr hinunterfahren. Nun ja, die Palme hat nicht allzu viel von ihrer Formschönheit, denn leider bietet die schwimmende Insel nur schwerlich Platz für uns drei, wenngleich kaum beleibte, junge Männer, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass auch noch ein halbes Dutzend Bierflaschen zumindest einen Teil der Reise unbeschadet überstehen sollen. So lassen wir uns also gegenüber von meinem Heim zu Wasser, Schoof links, ich rechterhand und Hübschei in der Mitte, die arme Palme unbarmherzig abknickend, wovon sie sich auch später, wie sich herausstellen wird, nicht mehr erholt.
Wie bereits erwähnt ist es ein herrlicher Tag, die Sonne strahlt von oben, das seitlich und von vorne hereinschwappende Wasser sorgt für die stete Kühlung, das Bier schmeckt gut und "rubbeldiekatz" sind wir schon auf Höhe des Schwimmbades angelangt, da hier die schmale (zu dem Zeitpukt noch "weiße") Traun noch recht schnell geht, bevor sie sich in wenigen Hundert Metern mit der aus Inzell kommenden roten Traun an einem unserer optischen Höhepunkte, der "Spitzau", vereint und erst einmal bedeutend ruhiger ihren weiteren Weg fortsetzt. Als nächstes passieren wir die Brücke zum Schwimmbad-/Pendlerparkplatz. Schoof und ich sind bester Laune und bemerken doch, das etwas nicht stimmt, aber was nur? Es ist Hübschei. Nicht nur ist er innerhalb der letzten Minute plötzlich mucksmäuschenstill geworden, auch ist ihm merklich die Farbe aus dem Gesicht gewichen. Es wird schnell klar: Der Mann hat Angst! Und bevor wir die Frage nach dem "Warum" auch nur zu stellen wagen, kommt es ihm mit dünner Stimme über die bebenden Lippen:

"die T..Teu...fels..welle..."

Man hat von "ihr" gehört, ganz klar. Wir alle sind Kinder dieses Ortes und ich, der ich direkt an der Traun groß geworden bin, kenne den Fluss oder besser gesagt, das Flüsschen, wie meine eigene Westentasche. Und ja, es mag diese eine Stelle, kurz vor dem Zusammenfluss geben, die ein wenig wilder scheint als der Rest und ja, es scheint als sei das Wasser hier ein wenig tiefer, ja vielleicht gar mannshoch aber sollte man sich tatsächlich vor einer Überfahrt mit unser bisher nur spärlich als seetauglich erwiesenen Insel fürchten? Plötzlich sind wir uns gar nicht mehr so sicher. Hübscheis wenige Worte lassen einen mythenumrankten Ort, ja das Bermudadreieck Siegsdorfs, vermuten. Ihm steht sichtbar der kalte Angstschweiß auf der Stirn, als wir uns der Teufelswelle nähern, die zwar (noch) nicht sicht- aber schon deutlich hörbar ist. Ein wenig driftet unser Kahn schon Richtung rechts, meiner Seite, mehrmals muss ich mich mit dem Fuß vom Rand abstoßen, um keinen Schaden an der fragilen Haut unserer Insel zu riskieren. Plötzlich befindet "sie" sich (wohl) unmittelbar vor uns. Hübschei ist nun mit den Nerven am Ende. Er bedeutet uns, dass wir es ja gerne riskieren können, aber er, von Geburt an mit einem Mangel an Lebensmüdigkeit gesegnet, steigt hier und jetzt aus diesem Himmelfahrtskommando aus. Gesagt getan. Aus gerade noch sicherer Entfernung stößt er sich nach hinten von der Insel ab, krault wie ein junger Fisch der Böschung entgegen, erreicht mit letzter Kraft das rettende Ufer und überlässt Schoof und mich dem Schicksal...
...wir beiden hingegen kriegen davon nur wenig mit, denn nun ist es soweit, die Teufelswelle liegt nur noch wenige Meter vor uns, wir müssen uns ihr stellen, denn für eine Flucht ist es nun zu spät. Gemurmelte Stoßgebete werden gen Himmel entsandt, dann ist es soweit, und....

....es passiert das kaum noch für mögliche gehaltene. Nichts.

Ein kaum merkliches Schunkeln, das selbst eine Wasserwaage kaum aus ihrem Tiefschlaf gerissen hätte. Schoof und ich tauschen Blicke und prusten (und prosten) los. Was für eine Lachnummer. Wenige Augenblicke später stößt Hübschei an der Spitzau wieder zu uns. Es ist zum Schreien. Für den Rest der vielleicht noch 25minütigen Fahrt sieht sich Hübschei unentwegt beißenden Spott ausgesetzt. Er wird damit fertig werden. 

Letzten Endes wird es das beste sein, das uns passieren konnte. Noch Jahre später, auch heute noch, bleibt diese kleine Anekdote unvergessen. Hätte sich Hübschei nicht aus dem Staub gemacht, die Fahrt auf unserer wunderbar blöden Insel mit der zerquetschten Palme wäre längst vergessen. Doch das und die fehlende Intimpflege einer einen weißen Bikini tragenden 14jährigen am Seiboldsdorfer Wehr sollten aus diesem Tag einen wohl für immer erinnerungsträchtigen machen. Letzteres ist jedoch eine andere Geschichte.