Dienstag, November 01, 2011

Im Namen des Volkes!

Ich habe lange überlegt, zu diesem Thema Stellung zu nehmen, denn es ist sicherlich ebenso kompliziert wie kontrovers und dazu eine Haltung einzunehmen und noch dazu eine solche, wie ich es tue (aber dazu später mehr) sorgt nicht selten für entsetzte Gesichter, wenn nicht zumindest für blankes Unverständnis. Dass ich für die gegenteilige Meinung auch nicht viel mehr als jenes übrig habe, sei zum jetzigen Zeitpunkt nur am Rande erwähnt.

Um hier um meine Haltung gar kein großes Geheimnis zu machen will ich an dieser Stelle einmal eine Lanze für unsere Justiz brechen. Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass die Judikative in der BRD eine sehr gute, um nicht zu sagen herausragende Arbeit leistet und die Art und Weise, wie sie von den Medien und damit einhergehend von weiten Teilen in der Bevölkerung beschimpft, verfemt, ja verteufelt wird steht zu dieser Arbeit in nun wirklich keinem Verhältnis mehr.

Ganz besonders emotional aufgeladen ist seit geraumer Zeit nun das Thema, wie mit sogenannten Kinderschändern nach dem Absitzen ihrer Gefägnishaft umzugehen ist. Die Argumente beider Seiten sind prinzipiell starr und unversöhnlich. Während die Verfechter härterer Strafen und lebenslanger Sicherungsverwahrung für eben solche Straftäter der Justiz gefährliche Milde vorwerfen und ihr nachsagen, sich zu sehr von der Täterseite einlullen zu lassen müssen sie sich andererseits eine Befürwortung der Lynchjustiz und Willkürlichkeit vorwerfen lassen.
Wenn wir allerdings ein wenig genauer hinschauen und dafür sorgen, dass die Emotionalität aus der Debatte geschafft wird, kann man meiner Ansicht nach nur zu dem Schluss kommen, dass sich die Justiz von den aufgebrachten Bürgern nicht in Geiselhaft nehmen lassen darf. Und dies will ich hier anhand von drei Argumenten belegen.

1. Willkür
Ich stelle nun eine bewusst provozierende Frage: Warum ist es grundsätzlich schlimmer zu bewerten, wenn ein Kind (nach Deutscher Rechtsdefinition bis zur Erfüllung des 14. Lebensjahres) einem Kapitalverbrechen zum Opfer fällt, als wenn dies einer 17jährigen Schülerin, einem 28jährigen Briefträger oder einer 57jährigen Großmutter widerfährt? Vom moralischen Standpunkt, welcher von den Befürwortern drakonischer Strafen ja stets ins Feld geführt wird, ist eine solche Unterscheidung beim besten Willen nicht zu rechtfertigen. Sicher kann man sagen, dass einem Kind in der Regel ein besonderes Maß an Unschuld- und Wehrlosigkeit zugesprochen werden kann und dennoch sollten meiner Meinung nach solch undefinierbare Maßeinheiten in einem sauberen Strafgesetzbuch gründsätzlich keine Berücksichtigung finden.
Nun unterliegt man aber als Mensch mit gesundem Verstand dennoch dem Gefühl, dass bei einer solchen Tat bei dem Täter etwas ganz besonders im Argen liegt, etwas das selbst nach Absitzen der Haftstrafe möglicherweise nicht aus der Welt geschafft wurde. Zu diesem Zweck gibt es die Sicherungsverwahrung, die vor allem in den letzten 10 Jahren immer wieder heftig diskutiert wurde und auch die Voraussetzungen an eine solche wurden, durchaus nicht zu Unrecht, immer weiter gesenkt. Sie beinhaltet jedoch ein ganz entscheidendes Problem.

2. Keine Rückwirkung von Strafgesetzen!
Manche ewigen unwissenden Nörgler würden mir jetzt vermutlich ohne jegliche belastbare Argumente widersprechen aber Tatsache ist: Wir leben in einem Rechtsstaat! Was heißt das? Zunächst heißt es, dass alle öffentlichen Gewalten an Recht und Gesetz gebunden, getrennt sind und sich dabei gegenseitig überwachen. Man mag da meinetwegen zuweilen anderer Auffassung sein aber ich denke, in der Geschichte der Bundesrepublik hat unser Rechtsstaat in überwiegendem Maße gut funktioniert. Man kann sich auch die Geschichte des 3. Reiches, der DDR oder aus aktuellem Anlass, Libyen anschauen um zu erkennen, wo die Rechtsstaatlichkeit auf der Strecke blieb und was die Menschen oder andere Mächte über kurz oder lang mit solchen Staaten machten. Zu dieser Rechtsstaatlichkeit gibt es einige Prinzipien, die meiner Meinung nach für die Funktionsfähigkeit eines solchen Rechtsstaats unumstößlich sind. Eines dieser Prinzipien lautet: Keine Rückwirkung von Strafgesetzen. Schaut man in Unrechtregime, werden rechtsstaatliche Prinzipien nicht selten mit den Füßen getreten. In der Bundesrepublik (und natürlich auch in anderen Rechtsstaaten) läuft das anders. Es gibt eine Hand voll Straftaten oder eben keine solche, die gesellschaftlich umstritten sind, man denke da beispielsweise an Abtreibung, Euthanasie, Konsum oder Besitz leichter Drogen. Wir leben heute in Tagen, in denen die Abtreibung erlaubt ist. Man stelle sich vor die Stimmen der Ultrakonservativen würden sich eines Tages wieder mehren und die Abtreibung würde, so wie früher, erneut unter Strafe gestellt. Was passiert mit einem 20jährigen Mädchen, das wenige Wochen zuvor noch schnell abgetrieben hat. Die Antwort ist einfach wie logisch: Nichts! Denn in unserem Land können wir uns glücklicherweise darauf verlassen, dass Strafen nicht rückwirkend gelten dürfen. In einem solch vermeintlich harmlosen Fall würde das vermutlich die Mehrheit der Menschen noch gutheißend abnicken, geht es aber um schwere Verbrechen, scheint es mit dem Verständnis für diesen Grundsatz plötzlich nicht mehr weit her zu sein.
Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unzweifelhaft klar gestellt, dass die nachträglich (also die nach dem richterlichen Strafurteilsspruch) verhängte Sicherungsverwahrung als auch die Verlängerung einer ursprünglich befristeten Sicherungsverwahrung nicht rechtens ist und genau gegen diesen rechtsstaatlichen Grundsatz verstößt und zwar deshalb, weil sich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht wesentlich vom normalen Freiheitsentzug aus der Haft unterscheidet.
Was ich damit eigentlich sagen will ist vor allem folgendes: Der Täter, so schlimm die Tat, die er begangen hat auch sein mag, hat nicht aufgehört ein Mensch zu sein. Ein Mensch mit Pflichten, ein Mensch, der aufgrund seiner Tat einen erheblichen Teil seines Lebens hinter Gittern zurecht verbringt, aber eben auch nach wie vor ein Mensch auch mit Rechten, zumindest aber einer mit Würde, wie uns der ehernste Grundsatz unser allen Rechts zeigt und wir auch niemals vergessen dürrfen, Etwas, das uns gerade auch unsere eigene Geschichte gelehrt haben sollte.

3. Rattenfänger voraus...
Besonders erschreckend finde ich solche Bilder, in denen ein aufgebrachter Mob nachgerade mit Mistgabeln und Fackeln bestückt sich vor Häusern aufhält, in denen ein solcher sich nach Absitzen der Haft wieder in Freiheit befindlicher Verbrecher niedergelassen hat. Gnädigerweise habe ich aber schon Verständnis für die Sicherheitsbedenken verängstigter Bürger, erst recht von Eltern mit noch kleinen Kindern aber was sich hier zum Teil für Szenen abspielen erinnert doch mitunter frappierend an mittelalterliche Hexenverbrennungszeremonien. Mir jedenfalls wird beim Anblick eines solchen Schauspiels Angst und Bange und ganz besonders erbärmlich finde ich dann, wenn sich unter solchen Demonstranten ganz offenkundig rechtsextreme Gruppen befinden und dort noch als Stimmungsmacher an forderster Front zur Aufheizung beitragen. Ich habe wirklich gedacht, dass wir so etwas seit 60 Jahren hinter uns haben würden. Da habe ich mich wohl getäuscht. Es ist natürlich wahr, dass eine ständige polizeiliche Überwachung kostenaufwändig ist. Aber es ist allemal besser, als wenn Leute hier in unserem Land der Gefahr der Lynchjustiz ausgeliefert sind.

Was bleibt ist erst einmal Ratlosigkeit. Ich kann keinem Bürger vorschreiben, wie er in dieser Beziehung zu denken hat. Vielmehr habe ich wirklich Verständnis für Ängste, mögen diese bei genauerem Hinsehen vielleicht auch als übertrieben erscheinen. Es mag etwas heuchlerisch klingen, zum Absschluss hier einen Bibelspruch zu bringen aber unter der Voraussetzung, dass der Täter Reue zeigt wissen wir ja, dass der Himmel sich mehr über einen reuigen Sünder freut als über 99 Gerechte. Wie viele der 99 Mistgabelschwinger man dann wiederum überhaupt als Gerecht bezeichnen könnte, steht auf einem völlig anderen Papier.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Immer wieder freue ich mich, hier von Ihnen Beiträge - fernab der Konsolenwelt - zu lesen.

Leider jedoch muss ich Sie auf Folgendes hinweisen:

a) "Erfüllung"

Das 14. Lebensjahr wird nicht "erfüllt", sondern "vollendet". Insoweit verweise ich auf § 187 Abs. 2 und § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB, die Ihnen jetzt sicherlich wieder erinnerlich sein werden.

Auch weise ich an dieser Stelle auf den Wortlaut des § 2 BGB hin, den man hier auch (zumindest) analog heranziehen kann.


b) Drogenkonsum

Der Konsum von Betäubungsmitteln ist erlaubt.

Drogenkonsum ist nicht verboten und war es auch noch nie. Der Konsum selbst von harten Drogen wie Heroin ist vollkommen legal, weil der Staat Selbstgefährdungen im Allgemeinen nicht bestraft. Das leuchtet ein. Denn wenn es in der BRD nicht einmal strafbar ist, sich selbst zu töten (bzw. es zu versuchen), dann kann natürlich erst recht nicht belangt werden, wer seine Gesundheit und sein Leben durch "kiffen" und "fixen" NUR gefährdet.

Strafbar ist allerdings so gut wie alles andere, was man mit Drogen tun kann. Dazu gehören zum Beispiel Anbau, Herstellung, Handel, Einfuhr, Ausfuhr, Veräußerung, Abgabe, Erwerb und Besitz illegaler Betäubungsmittel. Auch jede sonstige Art, sich Drogen zu verschaffen oder sie in den Verkehr zu bringen, ist verboten. Wenn man diese Liste ansieht, stellt man sich unwillkürlich die Frage, wie es möglich sein soll, eine Droge straflos zu konsumieren, wenn man sie vorher weder besessen noch sie sich verschafft haben darf.

In der Tat ist das nur in sehr wenigen Fällen möglich. Wer sich z. B. einen Joint reichen lässt und ihn sofort raucht, "verschafft sich" den Joint nicht und besitzt diesen auch nicht. Er konsumiert ihn nur und ist deshalb straflos. Problematischer wird es bei Kifferrunden, in denen Joints reihum von einem zum Nächsten weitergereicht werden. Strafbar macht sich in diesen Fällen auf jeden Fall der Gastgeber, der die Drogen angeschafft hat und sie in der Runde zur Verfügung stellt. Strafbar macht sich in den meisten Fällen auch, wer den Joint nicht komplett selbst raucht, sondern ihn in der Runde weiterreicht. Wer sich rechtstreu verhalten will, sollte die Weitergabe des Joints daher mit der Begründung ablehnen "Tut mir leid, ich mache mich strafbar, wenn ich den Joint weiterreiche. Ich muss ihn selbst zu Ende rauchen".

Fast alle Handlungen im Zusammenhang mit illgalen Drogen können also grundsätzlich bestraft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings entschieden, dass die Strafverfolgungsorgane grds. davon abzusehen haben, Verhaltensweisen zu verfolgen, "die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind..."

Was unter einer "geringen Menge Cannabis" zu verstehen ist, lässt sich nicht allgemein gültig sagen. Sowohl die Menge als auch die Qualität der Drogen spielen eine Rolle. Als Faustformel kann man sich jedoch merken, dass maximal drei sogenannte "Konsumeinheiten" von insgesamt nicht mehr als sechs Gramm selbst im strengen Bundesland Bayern noch als geringe Menge durchgehen - und zwar unabhängig vom THC-Wirkstoffgehalt.

Aber wie gesagt: Theorethisch strafbar ist es auch, nur ein einziges Gramm Haschisch zu besitzen. Die Strafverfolgung wird dann lediglich "in der Regel" eingestellt. Das heisst aber nicht, dass die Regel keine Ausnnahmen zulässt. Wer z. B. immer wieder wegen Drogendelikten aufgefallen ist, kann irgendwann auch wegen des Besitzes geringer Mengen bestraft werden.


Verzeihen Sie mir diesen kleinen Ausflug...

Alex hat gesagt…

Danke lieber Robert. Immer wieder schön, deine wunderbaren Ausführungen zu lesen. Obschon ich mich gefreut hätte, wenn du dich auch zu einem kleinen Kommentar über meine Kernaussage hättest hinreißen lassen ;)