Samstag, Februar 18, 2012

Das alles, und noch viel mehr

Es ist vollbracht!
Nach einer monatelangen Hängepartie hat unser (mittlerweile schon ehemaliger) Bundespräsident Christian Wulff die Reißleine gezogen und sich dem immer stärker werdenden öffentlichen Druck gebeugt. Man mag über die Art und Weise, wie dies in den letzten Wochen zustande kam geteilter Meinung sein, letzten Endes war dieser Schritt aber eigentlich spätestens nach seinem Anruf beim Chefredakteur im Hauptstadtbüro der Bild-Zeitung nicht mehr zu vermeiden.

Land der Neider?

Die Deutschen stehen in dem Ruf, grundsätzlich einmal demjenigen der mehr hat oder mehr bekommt als man selbst, diesem jenes zu neiden oder es ihm zumindest nicht zu gönnen. Schaut man sich die Informationen an, die in den letzten Wochen ans Licht der Öffentlichkeit traten, war für diesen Präsidenten für ein so gestricktes Deutsches Volk schlichtweg kein Platz mehr. Darlehen an der Grenze der Legalität, verdächtige Mauscheleien mit niedersachsens Unternehmerelite, Urlaub für Lau und dankbar entgegen genommenes Flug-upgrading. Mögen einzelne Bestandteile der oftmals noch nicht einmal bewiesenen Vorwürfe auch als beinahe lächerlich erscheinen, so ist es die schiere Summe der moralisch fragwürdigen Entscheidungen, die den Rücktritt Wulffs unausweiglich machten.
Freilich ist es wahr, dass in anderen Ländern, und seien es auch unsere unmittelbaren europäischen Nachbarn, die oben genannten Verfehlungen von der dort lebenden Bevölkerung kaum Beachtung finden würden. Sieht man sich an, was der vergleichsweise weit mächtigere italienische Ex-Regierungschef Berlusconi jahrelang im wahrsten Sinne des Wortes getrieben hat oder wie Gerüchten zufolge ein Sarkozy mit seinen Kritikern umgeht fragt man sich schon, warum ein vergleichsweise immer noch integerer Saubermann wie Wulff nach nicht einmal zweijähriger Amtszeit das Handtuch werfen muss. Es aber ausschließlich an der fehlenden Generösität der Deutschen festzumachen ist deutlich zu kurzsichtig. Ebenso die reflexhafte Haltung, er sei einer zielgerichteten medialen Demontage zum Opfer gefallen. Spätestens nach dem Bild-Skandal hatte er kaum mehr ein Anrecht darauf, so zu argumentieren, zumal er in den Jahren zuvor vor allem von der Bild nachgerade und gewiss nicht zu seinem Missfallen hofiert wurde wie kaum ein Politiker vor ihm.

Die Bürde des Amtes

Das Amt des Bundespräsidenten ist ein schönes. Sozusagen eigentlich ein Wohlfühlamt, ähnlich dem des Außenministers, sieht man von den Beliebtheitswerten des kauzigen Westerwelles einmal ab. Es steht abseits der schmutzigen Tagespolitik. Abseits von parteilicher Taktik und kaltem Kalkül schwingt der Bundespräsident moralische Reden, die das Volk geflissentlich Nicken oder im günstigsten Fall das Herz bluten lassen. Abgesehen davon ist der Bundespräsident faktisch natürlich machtlos und hat praktisch nicht viel mehr politischen Einfluss als ein Postbeamter in Bitterfeld. In der Vergangenheit sind kaum wirklich wertvolle Erinnerungen an die bisherigen Präsidenten im Gedächtnis haften geblieben. Am ehesten erinnert man sich noch an Kuriositäten wie Heinrich Lübkes Aussetzer oder Walter Scheels fragwürdiges Gesangstalent. Wirklich erinnerungsträchtige Reden wie die von Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 oder Roman Herzogs berühmte "Ruckrede" sind da schon die Ausnahme. Hat sich der Bundespräsident mit dieser Tatsache abgefunden, stünde ihm eigentlich ein schönes Leben mit einem ordentlichen Salär auch nach der Amtszeit und darüber hinaus noch ein Platz in den Geschichtsbüchern zu.
Damit einher geht aber auch die Erwartung vom Volk, dass sich der Präsident ohne Fehl und Tadel verhalten soll. Sieht man sich gerade die letzten vier Bundespräsidenten an waren dies parteiübergreifend hochangesehene Staatsmänner, denen nicht auch nur der Anschein einer fragwürdigen persönlichen Vorteilsnahme anhaftete. Diesem hohen moralischen Standard konnte Wulff vor allem nach der Summe der Skandälchen zuletzt beim besten Willen nicht mehr gerecht werden, erst recht nach seiner peinlichen Verteidigungsstrategie, die ihn zuvorderst als Opfer einer Hetzkampagne sah, während das Eingestehen der Fehler stets nur kleinlaut vonstatten ging.

Wie wird man König von Deutschland?

Dem Grundgesetz zufolge wird nun in 30 Tagen die nun bereits dritte Bundesversammlung in den letzten vier Jahren einberufen und mit etwas Glück finden wir dieses mal einen Kandidaten, der sein Amt zumindest einmal in den nächsten fünf Jahren so ausführt, wie man es von einem bundesdeutschen Präsidenten erwarten kann: weltmännisch und weise zur richtigen Zeit aber ansonsten gefälligst ruhig, so dass die "eigentlichen" Politiker sich vernünftig um ihre Arbeit kümmern können ohne nervige Ablenkung aus Bellevue. Wenn wir schon bei genervten Politikern sind. Alle sind genervt. Von Wulff selbst natürlich aber auch vom Bundespräsidentenamt an sich. Legen wir die Karten einmal auf den Tisch. Der Bundespräsident ist mangels wirklicher Aufgaben und Machtbefugnisse so überflüssig wie ein Kropf. Alle wissen es. Sogar der Opposition war es zu dumm, die Affäre für schlimmere Hiebe auf die Regierungskoalition auszunutzen und das will bei Gott was heißen. Es gibt aber tatsächlich eine Aufgabe, die ein Präsident hat, die wahrscheinlich wichtigste, selbst wenn das Grundgesetz diese nicht erwähnt. Es ist die Aufgabe, ein Bindeglied zu sein zwischen Volk und Politikern, die Aufgabe, Vermittler zu sein zwischen den Erwartungen des kleinen Mannes und der eingangs erwähnten schmutzigen Tagespolitik, die Aufgabe, diesem unsympathischen wie unverständlichen Wulst aus Bundestag, Bundesrat, Ausschüssen, Parteigelaber, Küngelei und Feilscherei ein menschliches Gesicht zu geben. Und tatsächlich ist diese Aufgabe in Zeiten, in der die Politik beim Volk einen Vertrauens- als auch Interessensverlust sondersgleichen erlebt wichtiger denn je. Deshalb sollte das Grundgesetz in der nächsten Amtsperiode des Präsidenten geändert werden. Die Zeit ist reif, die Bundesversammlung als Wahlorgan abzuschaffen und eine Direktwahl vom Volk zuzulassen. Die Politik muss jede Chance nutzen, Vertrauen, welches so sehr gelitten hat in den letzten Jahren, wiederherzustellen. Ich persönlich halte dies für ungeheuer wichtig und seien wir ehrlich, der Preis, der dafür zu zahlen wäre ist niedrig.
Es gibt die bekannten zwei Hauptargumente, die gegen eine Direktwahl sprechen. Dies ist zum einen der interessante Punkt, wie mit einem faktisch machtlosen Amt Wahlkampf zu machen und zu organisieren ist und zum anderen die berechtigte Frage, warum bei einer Direktwahl des Präsidenten die wirklich mächtigste Person im Land, der Bundeskanzler, dann nicht direkt vom Volk gewählt wird. Den ersten Punkt könnte man wie ich finde einfach übergehen und es auf uns zukommen lassen und auch das zweite Argument ist weniger stark als es den Anschein hat, denn praktisch wählt man bei der Bundestagswahl mit der Zweitstimme seinen Wunschkanzler mit. Dies ist zwar in der Tat nicht so, wird aber von einem Großteil der Bürger so wahrgenommen.

Zuletzt sind meiner Meinung nach mittlerweile die Argumente, die gegen eine direkte Wahl sprechen in jedem Falle niedriger zu bewerten als die mögliche Chance, durch eine solche einfache Reform möglicherweise verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Vertrauen ist ein Gut, welches zwar schwer messbar aber ungeheuer wichtig ist. Damit in Krisenzeiten wie den aktuellen und denen, die uns noch bevor stehen verschwenderisch umzugehen, wäre mehr als fahrlässig.

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